„Ich bin doch nur ein Schauspieler …“

 

„Mephisto – Roman einer Karriere“ feierte Premiere am Theater der Altmark

 

Die Darsteller des Theaterstücks „Mephisto – Roman einer Karriere“ beim Schlussapplaus.©Thomas Pfundtner

 

Im Kleinen Haus präsentierten am 29. November 2025 sieben Schauspielerinnen und Schauspieler unter der Regie des Italieners Andrea Maria Brunetti einen Theaterabend, der noch lange im Gedächtnis des Publikums haften bleiben wird. An diesem Abend bewiesen alle Darsteller, welche schauspielerischen Qualitäten jeder von ihnen zu bieten hat, wobei zwei von ihnen besonders herausstachen.

Die Darsteller des Theaterstücks „Mephisto – Roman einer Karriere“ beim Schlussapplaus.©Thomas Pfundtner

 Stendal – Das Stück „Mephisto – Roman einer Karriere“ fußt auf einem Roman von Klaus Mann, der 1936 veröffentlicht wurde. Die Idee für dieses Buch hatte der Schriftsteller Hermann Kesten. In einem Brief an Klaus Mann schrieb er: „Sie sollten den Roman eines homosexuellen Karrieristen im Dritten Reich schreiben und zwar schwebte mir die Figur des Herrn Staatstheaterintendanten Gründgens vor. Titel: ‚Der Intendant‘.“

Klaus Mann griff die Idee auf und wählte einen anderen Titel: „Mephisto“. Ein besonderer Roman, denn fast alle Namen sind Fakes. Tatsächlich handelt es sich bei Höfgen um den legendären Schauspieler Gustaf Gründgens. Er wollte um jeden Preis Karriere machen – dafür war ihm jedes Mittel recht – vom puren Opportunismus bis zum Verrat an seinen Freunden.

Unter den Nazis war das Buch verboten. Auch in der Bundesrepublik durfte es viele Jahre nicht verkauft werden. Erst in den frühen 1980er Jahren wurde das Verbot de facto aufgehoben. Der Rowohlt Verlag hatte das Buch ohne die Zustimmung der Erben neu veröffentlicht, die nicht zum zweiten Mal gegen die Veröffentlichung vorgingen. „Mephisto“ wurde 1966 gerichtlich verboten, da Freunde von Gründgens Klage wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Gründgens eingereicht hatten und Recht bekamen. Das Urteil wurde 1971 vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Das führte zu einem der größten Literaturskandale in der Bundesrepublik. – Bis heute wurde das Buch millionenfach (eine genau Zahl gibt es nicht, da es auch privat kopiert und verbreitet wurde) verkauft.

Gustaf Gründgens ist seit gut sechzig Jahren tot. Er starb am 7. Oktober 1963 an einer Magenblutung während einer Weltreise in Manila auf den Philippinen. Ausgelöst wurde diese durch eine Überdosis Schlafmittel. Dennoch bleibt es bis heute ein Geheimnis, ob Gründgens Selbstmord verübte oder ob er versehentlich zu viele Tabletten schluckte.

Hannes Liebmann als Göring in „Mephisto – Roman einer Karriere“.©Nilz Böhme

Katrin Steinke als Emmy Sonnemann in „Mephisto – Roman einer Karriere“.©Nilz Böhme

In Manila beginnt auch die Stendaler Inszenierung von „Mephisto“:

Gründgens sitzt in einer Garderobe (Marcel Kaiser) vor einem Theaterspiegel und schminkt sich ab.

Während er seine Gesichtshaut von der Schminke befreit, zieht er in einem beeindruckenden Monolog eine Bilanz über sein Leben und stellt fest, dass er bisher nur gearbeitet hat, nun aber lernen möchte, wie „Leben geht“. Zu spät: Im Hintergrund lauert der Tod (Matthias Hinz), der den Schauspieler ein Leben lang begleitet und betreut hat und nun seinen Lohn kassieren wird.

Kaum ist Gründgens tot, beginnt auf der Bühne eine Zeitreise durch sein Leben. Schlaglichtartig entstehen kurze Segmente aus Gründgens Leben. Von Hamburg nach Berlin. Von Berlin ins Exil. Aus dem Exil wieder in die Hauptstadt. Alles dreht sich um Gründgens. Keine Szene ist länger als fünf Minuten:

Hermann Göring (Hannes Liebmann), der schützend seine Hände über Gründgens hält, schläft an seinem Schreibtisch ein.

Spaziergänger im Regen, die über die Nazis reden.

Minuten später klettert die Lebensgefährtin von Hermann Göring, Emmy Sonnemann (Katrin Steinke), in eine Badewanne. Im heißen Wasser sitzend, liest sie einen Brief vor, der sie erstarren und vor lauter Verzweiflung schreien lässt.

Im Hintergrund der Bühne verändern die Darsteller ihre Kostüme mit kleinen Accessoires  – für eine andere Rolle an diesem Abend.

In der nächsten Szene fliegen Klamotten auf die Bühne. Symbolisch für Gründgens erste Rollen in Berlin. Auf der Bühne jagt er Hemden, Hosen und Jacken nach, bevor er sich am Ende mit einem Schädel an den Bühnenrand stellt. Hamlet. Die Rolle wäre ihm fast zum Verhängnis geworden. Die NSDAP-Bonzen wollten einen Hamlet als einen Helden und Tatenmenschen. Gründgens lieferte einen Zweifler und Grübler…

Doch beschützt von seinem Protégé Göring droht keine Gefahr. Gründgens kann spielen, was er will, steigt sogar zum Intendanten erst des Berliner Schauspielhauses auf, dann wird er ehrenhalber Generalintendant der Preußischen Staatstheater. Je höher Gründgens steigt, umso mehr wenden sich die ehemaligen Freunde ab. So ist seine Karriere in den Augen der Familie Mann eine moralische Bankrotterklärung. Und seine ehemalige Frau, Erika Mann fragt: „Wo beginnt bei diesem Menschen das Falsche und wo hört es auf?“ Der Theaterintendant Kroge antwortet: „Er lügt immer und er lügt nie. Seine Falschheit ist seine Echtheit – er ist Schauspieler.“ Das sagt alles …! Bis zum Plot am Ende von „Mephisto“.

Faszinierende schauspielerische Leistungen prägen dieses besonderes Stück

Marcel Kaiser als Gustav Gründgens in „Mephisto – Roman einer Karriere“.©Nilz Böhme

„Mephisto-Roman einer Karriere“- Zeitangabe 1932, das Jahr, in dem Gründgens den Mephistoteles spielte.©Nilz Böhme

Was für ein Theaterabend wurde den Zuschauerinnen und Zuschauern an diesem Sonnabend geboren. Alles stimmte, alles passte.

Beginnen wir mit der Ausstattung. Mark Späth hatte sich eine Menge einfallen lassen, um die Jahre 1927 bis 1936 lebendig werden zu lassen und der Bühne ein Gesicht zu geben. Ob Telefon oder Kronleuchter. Alles passte in die vergangene Zeit. Auch bei den Kostümen gibt es nichts zu meckern.

Zwar trug Göring eine alte NVA-Mütze, aber das aber tut der Authentizität keinen Abbruch. Schließlich  gab (und gibt) es in der ehemaligen DDR und der restlichen Welt unendlich viele Opportunisten, die für ihre Karriere über Leichen gehen.

Besonders hervorzuheben: Ein Kranhaken spielt ebenso eine Rolle, denn er weist das Publikum darauf hin, wo und in welchem Jahr die Handlung gerade stattfindet.- Klingt banal, hilft aber ungemein. Und dann ist da noch das Hakenkreuz aus Eis. Es wird hochgezogen und schwebt über der Bühne. Eine Idee des Regisseurs, perfekt umgesetzt von Mark Späth. Sicher, dieses glitzernde und schillernde Nazi-Symbol schmilzt mit der Zeit und symbolisiert die Zerbrechlichkeit und den Sturz der Nazis. Allerdings nur für das Publikum. Die Menschen, die damals unter dem Regime litten und von Nazis terrorisiert wurden, hätten dies anders gesehen…

Bereits zum zweiten Mal führte der Italiener Andrea Maria Brunetti am TdA Regie. Nach der verführerischen Mirandolina nun also Mephisto, der Teufel. Ich weiß nicht, wie es funktioniert, dass trotz aller Sprachbarrieren so eine gelungene Inszenierung erarbeitet wurde.

Möglicherweise verfügt er über ein goldenes Regie-Händchen… Dann die Darstellenden: Katrin Steinke, Kerstin Slawek, Hannes Liebmann, Markus Braun und Fynn Zinapold. Sie spielen 19 verschiedene Rollen, in die sie sich im hinteren Teil der Bühne verwandeln, nicht nur mit Routine runter, sondern geben ihren Figuren eigene Charaktere. An diesem Abend war nichts von Routine auf der Bühne im Kleinen Haus zu spüren.  Alle Auftritte wurden vom Publikum mit Staunen und Begeisterung aufgenommen. Eine 1 für jeden Schauspieler.

Rosen und großer Applaus für alle Mitwirkenden an „Mephisto – Roman einer Karriere“.©Thomas Pfundtner 

Ja, und dann sind da noch die Darsteller von Gustaf Gründgens und dem Tod: Marcel Kaiser und Matthis Hinz. Letzterer dockte mit seiner Leistung an seine Rolle als Richard III. im Uppstall Kaufhaus an. Die Glanzpunkte waren die Wechsel zwischen Zuckerbrot und Peitsche, Freiheit und Unterdrückung sowie Liebe und Ablehnung. Denn letztendlich verkörperte Hinz die Macht des Todes über Leben und sterben so gut, dass die Zuschauer Gänsehaut bekommen.

Als letzten Schauspieler von den sieben, möchte ich Marcel Kaiser als Gustaf Gründgens loben: Wie ein Wirbelwind fegte er über die Bühne und den Theaterraum. Es schien, als würde er sich die Seele aus dem Leib spielen.  Was für ein Auftritt! Das begann gleich in der ersten Szene: Augen verdrehen, Rezitieren, Spannung aufbauen, den Grat zwischen Genie und Wahnsinn spielen – so eine Performance habe ich lange nicht mehr gesehen. Wann immer er auf der Bühne stand und spielte, strahlte Kaiser eine Präsenz aus, die bis ans Ende des Theatersaals zu spüren war. Ich glaube, Marcel Kaiser hätte gern noch länger gespielt – leider war das Stück aber zu Ende. Eine besonders berührende Szene wird mir immer im Gedächtnis bleiben: Beim Applaus erhielten alle Darstellenden eine Rose von Intendantin Dorotty Szalma und ihrer Tochter überreicht. Kaum war der Applaus verklungen stürzte Marcel Kaiser zu seinen Eltern, die extra nach Stendal gekommen waren, und drückte die tiefrote Rose seiner Mutter in die Hand, nahm sie in den Arm und drückte sie.

Jeder weiß, dass Klaus Mann in seinem Höfgen (Gustaf Gründgens) nicht nur eine Einzelperson, sondern ein Symbol für das gesamte „komödiantische, zutiefst unwahre, unwirkliche Regime“ der Nationalsozialisten, sah.

Bis heute eine umstrittene Meinung oder Ansicht über den Schauspieler, der auch nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik nicht von der Karriereleiter flog. Zum letzten Mal als Mephisto trat er 1960 in der Verfilmung seines Faust I in Hamburg auf.

Die Mitwirkenden am Theaterstück „Mephisto – Roman einer Karriere“ 

Gustaf Gründgens: Marcel Kaiser
Der Tod: Matthias Hinz
Emmy Sonnemann / Hedda von Hertzfeld / Bürger Eins / Katia Mann: Katrin Steinke
Erika Mann / Elisabeth Bergner / Marianne Hoppe / Bürger Zwei / Dame / Schmitz: Kerstin Slawek
Hermann Göring / Kroge / Bürger Drei: Hannes Liebmann
Hans Miklas / Ausländer / Bürger Vier / Psychologe: Markus Braun / Oscar Seyfert
Otto Ulrichs / Hanns Johst: Fynn Zinapold

Regie: Andrea Maria Brunetti
Ausstattung: Mark Späth
Dramaturgie: Roman Kupisch
Regieassistenz / Inspizienz: Razan Naser Eddin
Hospitanz / Produktionsassistenz: Sarah Frede
Hospitanz / Soufflage: Jaqueline Tille
Hospitanz / Ausstattungsassistenz: Nova de Reuter

Technischer Direktor: Sirko Sengebusch
Maske: Jaclin Kaufmann-Hochmuth, Miriam Kellmann, Kathleen Schapals (Leitung)
Requisite: Justin Harwardt, Eva Wortmann
Ankleiderinnen: Maria Quade, Larysa Beier
Bühnenmeister: Steffen Nodurft, Veikko Poitz, Sirko Sengebusch
Beleuchtungsmeister: Ronald Gehr
Beleuchtungseinrichtung: Christian Beye
Video: Christian Kaiser, Max Kupfer (Leitung)
Tonmeister: Enrico Stephan
Toneinrichtung: Bernd Elsholz, Christian Kaiser, Enrico Stephan
Kostümwerkstattleitung: Kirstin Versümer
Schneiderei: Brita Becker, Bärbel Wünsch
Werkstattleitung: Steffen Poitz
Leitung Malsaal: Oleksii Petrov
Bühnentechnik: Michael Briest, Sebastian Franz, Marcel Jatzek, Christian Köppe, Ralf Thalis