Yadegar Asisi

 

 „Machtpolitik zerstört eine gute Idee!“

 

Portrait-Yadegar-Asisi-Künstler

Der Künstler Yadegar Asisi (66) verblüfft mit seinen überdimensionalen Panoramabildern nicht nur Millionen Besucher, sondern bezieht im Gespräch mit mir auch klar Stellung zu Fragen über Menschlichkeit, Vorurteile, Erinnerungen, Demut und politisches Fehlverhalten. Foto/Copyright: Markus Nowak

Von Yadegar Asisi hörte ich zum ersten Mal in Leipzig. Dort arbeitete ich als freier Journalist für die TNN-Nachrichtenagentur, die für die großen Fernsehanstalten Nachrichten und kleine Filme produzierte. In der örtlichen Zeitung tauchten immer wieder Berichte über Yadegar Asisi auf. Von 2003 bis 2005 zeigte er im Gasometer ein gigantisches Bild vom Mount Everest. Die Reaktionen waren sehr positiv.
Ich kann mich noch gut erinnern: Alle meine Versuche, Yadegar Asisi im TV unterzubringen, waren damals vergeblich. Wenn ich mich nicht täusche, setzte sich anfangs lediglich das
ZDF-Magazin Aspekte mit dem Künstler auseinander.
Das hat sich natürlich bis heute extrem geändert: Yadegar Asisi ist in Europa ein gefragter Mann für TV-Berichte, Interviews oder Porträts.
Mich beeindrucken am meisten
„Pergamon“ (seit 2018 auf der Berliner Museumsinsel), Luther 1517“ (seit 2016 in der Lutherstadt Wittenberg) und „Die Mauer“ (seit 2012 am Checkpoint Charlie in Berlin).

Aber ganz ehrlich, alle Panoramabilder von Yadegar Asisi sind eine Wucht!

Kleiner Tipp: Sollten Sie eines seiner Panoramabilder besuchen, versuchen Sie doch mal, den Künstler auf seinen Bildern zu entdecken. Tatsächlich verewigt er sich klein und bescheiden auf allen Panoramabildern.

Was ich nicht erwartet hatte: Der Interview-Termin mit Yadegar Asisi kam schnell zustande.
Und so trafen der Fotograf Markus Nowak und ich am 9. April 2019 kurz vor zehn Uhr in seinem Atelier und Bürokomplex ein. Yadegar Asisi erschien wenige Minuten später. Was wir nicht wussten: Er hatte in der Nacht zuvor seinen 64. Geburtstag in einer Gaststätte mit vielen Freunden gefeiert und sich deshalb etwas verspätet. Aber er war topfit, keine Spuren der nächtlichen Feierei. Wie immer unterhielt ich mich mit meinem Interviewpartner über Alltägliches, bevor ich mit meinen Fragen begann. Dann passierte etwas Erstaunliches: Yadegar Asisi spürte wohl, dass unser Gespräch länger dauern würde. „Ich hatte gedacht, wir wären in einer Stunde durch. Aber das werden wir wohl kaum schaffen, Ihre Fragen finde ich gut und möchte deshalb ausführlich antworten.“ Er rief seinen persönlichen Berater und bat ihn, die noch folgenden Termine abzusagen. „So, jetzt bin ich für Sie da und wir können uns alle Zeit der Welt lassen.“
Ganz ehrlich: Ich bin seit über 40 Jahren im Geschäft, aber das habe ich so noch nie erlebt.

Tatsächlich haben wir uns bis in den frühen Nachmittag hinein unterhalten und dann zeigte uns Yadegar Asisi auch noch sein großes Atelier. Der einzige Nachteil: Wieder zu Hause musste ich ein extrem langes Interview abschreiben. Ich finde aber, es hat sich gelohnt.

Nach dem Interview mit Yadegar Asisi habe ich mir in Berlin unweit des Checkpoints Charlie noch das Panometer Leben an der Mauer angesehen. Es war beeindruckend, wie Yadegar Asisi den Alltag rund um das Betonmonstrum eingefangen hat. Ich selbst habe zu Mauerzeiten lange in Berlin gelebt und kann nur sagen: Ja, genauso war es. Von der minimal beleuchteten Tankstelle, über die Eckkneipe, den verkommenen Wohnwagen bis zum VW-Käfer.
Foto/Copyright:
Markus Nowak

Herr Asisi, Sie haben den Begriff „Panometer“ geschaffen. Was ist das?

Ja, das ist eine Wortschöpfung von mir. Panometer sind zwei ehemalige Gasometer in Leipzig und Dresden, in denen überdimensionale, zylindrische 360-Grad-Panoramabilder zu einem bestimmten Thema gezeigt werden, die anfangs ausschließlich dort in den Gasometern gezeigt wurden. Aus PANOrama und GasoMETER entstand der Begriff. Die Bilder haben eine Gesamtfläche von 3500 Quadratmetern und mehr. Zur Recherche entstehen unter anderem zehntausende Einzelfotos, letztlich ist ein Panorama aber Malerei mit digitalen Mitteln. Der Betrachter betritt das Bild, wird von ihm eingeschlossen und er versinkt förmlich in der Betrachtung. Innerhalb der dargestellten Szenen steht ein bis zu 15 Meter hoher Aussichtsturm, der auf drei Ebenen wiederum eine völlig andere Betrachtung des Bildes ermöglicht. Mittlerweile werden aber auch spezielle Rotunden gebaut.

Was heißt, zu einem bestimmten Thema?

Nun, angefangen hat alles 2003 in dem Gasometer in Leipzig mit „Everest“.

Anlass war der 50. Jahrestag der Erstbesteigung 1953 durch Edmund Hillary und Tenzing Norgay. Es war ein Pilotprojekt. Ein Erfolgreiches! In knapp zwei Jahren kamen über 450.000 Besucher. Das hat mich natürlich motiviert, weiterzumachen. Bis heute entstanden so 13 Panoramen, die in Leipzig, Dresden, Berlin, Pforzheim, Wittenberg, Hannover, aber auch im nordfranzösischen Rouen installiert wurden.

Geben Sie uns einige Beispiele.

Gern. In Wittenberg wurde anlässlich des 500-jährigen Reformationsjubiläums das Panorama „Luther 1517“ eröffnet. Dabei dreht sich natürlich alles um das Leben Martin Luthers. Wir sehen ihn als wetternden Prediger, der Ablassbriefe zerreißt. Oder in heftiger Diskussion mit Studenten. Er taucht neben seiner Frau Katharina von Bora auf oder wie er seinen Kindern Lesen beibringt. Dazu wird das pralle Alltagsleben rund um den Schlossplatz von Wittenberg gezeigt. Aber auch das gehört dazu: Man sieht auch eine Hexenverbrennung und am Horizont den heraufziehenden Krieg… Es ist der Versuch, die wichtigsten Momente der Reformation vor und nach der Veröffentlichung der Thesen zu beschreiben.

Die Panoramabilder „Great Barrier Reef“ oder „Amazonien“ stellen riesige Naturräume dar und zeigen die Unendlichkeit der Natur und wie komplex die verschiedenen Ökosysteme miteinander verbunden sind.

„Dresden 1945“ dokumentiert die Stadt unmittelbar nach den schrecklichen Bombenangriffen der Alliierten im Februar 1945. Eine apokalyptische Trümmerlandschaft, die bis heute in den Köpfen der Menschen weit mehr ist als nur ein Symbol für die vernichtenden Mechanismen eines Krieges.

Oder „Die Mauer“ und „Pergamon“…

Ich bin Perser, aber ein Kind der DDR

darüber reden wir bitte später. Lassen Sie uns noch ein wenig in Leipzig bleiben. Mit der Stadt verbindet Sie mehr als nur das erste Panoramabild?

Richtig. Ich bin dort aufgewachsen und somit also auch ein Kind der ehemaligen DDR…

Das erzählen Sie bitte.

Dazu muss ich aber etwas ausholen…

Kein Problem.

Also. Mein Vater war Offizier in der persischen Armee und politisch in einer kommunistischen Organisation aktiv. Wie Sie wissen, hat der letzte Schah, Mohammad Reza Pahlavi, ein autoritäres Regime aufgebaut, in dem jede Opposition massiv unterdrückt wurde. Als er an die Macht kam, wurde mein Vater verraten und sechs Monate vor meiner Geburt mit 20 weiteren Offizieren hingerichtet. Dank einer Untergrundorganisation gelangten meine schwangere Mutter und die anderen Frauen nach Wien. Viele sozialistische Staaten haben den Frauen Asyl angeboten. Darunter die DDR. So kam meine Mutter mit meinen fünf Geschwistern und mir nach Halle und dann Leipzig. Später habe ich erfahren, dass wir zu den Ausländern der ersten Stunde in der DDR gehörten und das Regime nicht wusste, wie es mit uns umgehen sollte. Da haben die uns erstmal in eine Villa gesteckt und wir hatten sogar eine eigene Köchin. 

Glauben Sie mir, ich hatte eine glückliche Kindheit. In meiner kindlichen Wahrnehmung waren wir die Guten und die Bösen lebten im Kapitalismus. Für mich ist das eine Lehre, wie man Kinder manipulieren kann. Es ist leider nach wie vor ein großes Thema in der Welt. Diskriminierung, Rassismus oder Übergriffe, so wie es heute in Deutschland immer öfter passiert, habe ich nie erlebt. Das lag aber bestimmt auch daran, dass ich natürlich von Anfang an Deutsch gelernt habe.

So gab es keinerlei Sprachbarrieren oder Verständigungsschwierigkeiten. Für mich ist das gerade in unseren Zeiten das A und O der Integration!

Yadegar Asisi hinter einer riesigen Glasscheibe, die den Konferenzraum in seinem Studio von den anderen Räumen trennt. Fotograf Markus Nowak spielt gern mit Motiven, Lichteffekten und Spiegelungen. Warum auch nicht, Bilder sollen doch nicht immer gleich aussehen, oder…? Foto/Copyright: Markus Nowak

Wie ging es weiter?

Nach dem Abitur konnte ich an der TU Dresden ab 1973 Architektur studieren. Wissen Sie, schon als kleiner Junge habe ich angefangen zu zeichnen. Dabei haben mich immer die Techniken der Raumillusion fasziniert, wie sie besonders in der italienischen Renaissance-Malerei – zum Beispiel bei Leonardo da Vinci oder Andrea Mantegna – eingesetzt wurden. Das Zeichnen hat mich zur Architektur gebracht und zur Malerei.

1978 schloss ich mein Studium als Diplom-Ingenieur für Architektur ab und wurde der DDR verwiesen…

… nanu… 

… ich hatte einen Brief erhalten, dass ich innerhalb von vier Wochen das Land verlassen muss. Für die Partei war der sozialistische Auftrag erledigt. Aufnahme, Erziehung, Ausbildung. Wir Emigranten passten nicht ins System, weil die Führung uns nicht richtig im Griff hatte. Also war mit Abschluss des Studiums die Parteiverpflichtung erledigt.. Im Nachhinein bin ich dankbar, vor allen Dingen den Menschen, denen ich begegnet bin.

Was haben Sie in dem Moment empfunden?

Es kam überraschend, war aber nicht ganz so schlimm. Tatsächlich hat meine Mutter uns Kindern immer das Gefühl vermittelt, wir kehren eines Tages in den Iran zurück. Damit bin ich aufgewachsen. Und das war irgendwie selbstverständlich. Da die Einreise in den Iran mir verboten war, ging ich als Erstes nach Westdeutschland. Am Grenzübergang Helmstedt wurde ich für einen Illegalen gehalten und ins Gefängnis gesteckt. Ein Richter entschied, dass ich in Deutschland bleiben könne, wenn ich studiere. Nun lag die Entscheidung nahe, mich für Malerei zu entscheiden. Mein erster Versuch an der Hochschule der Künste zu studieren gelang und mein Weg führte mich dann doch zu den bildenden Künsten. Fortan lebte ich in Westberlin und studierte Malerei. Als aber 1979 im Iran die Revolution ausbrach, bin ich in die Heimat meiner Familie nach Teheran geflogen. Mein Einreiseverbot war jetzt aufgehoben. 

Sie blieben aber nicht lange.

Nein. Ich habe es nur ein Jahr ausgehalten.

 Ich weiß auch nicht, was nach dem Tod passiert

Warum?

Da ich in der DDR aufgewachsen bin, bin ich wohl doch eher Europäer, besser gesagt Deutscher. Sehen Sie, allein das Verhältnis zwischen Mann und Frau im Iran – das finde ich schwierig. Wenn Sie in einer Gesellschaft aufwachsen, in der Frau und Mann gleichberechtigt sind, kommen Sie damit nicht zurecht. Ja, sie verzweifeln geradezu an den für sie nicht nachvollziehbaren Verhaltensweisen der Männer. Ich musste feststellen, dass durch meine europäische Sozialisation zu viele kulturelle Hürden vorhanden sind.

Was halten Sie von Religionen?

Wissen Sie, ich weiß nicht, wo wir herkommen und was mit uns nach dem Tod passiert. Ich will es eigentlich auch nicht wissen. Wer weiß das schon… Was ich aber genau weiß: Mein erstes Panorama, das sich auch mit Religion beschäftigte, war „Rom 312“.

Also die Zeit, zu der Kaiser Konstantin das Christentum als Staatsreligion erlaubte. Und was passierte: Mit dem Aufstieg der Kirche begann auch ein typisch menschlicher Abstieg: Machtpolitik zerstört eine gute, kraftvolle Idee bis letztendlich alles so kaputt ist, dass einer den Neubeginn wagen muss. Damals war es Martin Luther. Natürlich war er auch ein Kind seiner Zeit. Aber durch ihn wurde die Welt umgekippt. Bitter nur, dass seine Ideen und seine Gedanken kurz darauf in einen Krieg mündeten.

Auch heute scheint die Kirche sich wieder selbst zerstört zu haben: Sexueller Missbrauch. Das Festhalten am Zölibat. Vorurteile gegenüber Frauen als Priesterinnen. All das führt dazu, das sich die Menschen vom Glauben abwenden. Es ist der ewige Drang des Menschen, Dinge selbst aufzubauen und wieder zu zerstören.

Hoffnung gibt mir Papst Franziskus. Er setzt alles daran, die katholische Kirche wieder zu einer Kirche der Basis zu machen. Zu einer Kirche, die sich um ihre eigentlichen Aufgaben kümmert und nicht in Prunk und Protz erstickt. Ein Anfang…

Was glauben Sie?

Ich halte viel vom Glauben. Wenn er dem Menschen hilft, seine Mitte zu finden und Kraft fürs Leben zu geben. Ich für meinen Teil brauche nicht diese Personalisierung, d.h. die Gottesfrage. Ich glaube, und da sind wir uns höchstwahrscheinlich in vielem einig, dass die Dinge im Universum eine innere Logik haben und dass mein Kommen und Gehen mit dieser Logik etwas zu tun hat. Dieser Gedanke ist für mich ausreichend, um halbwegs gefestigt durchs Leben zu gehen.

Natürlich glaube ich an die Kraft und Schönheit der Schöpfung. Zum Beispiel kann man diese innewohnende Logik auch in einer so einfachen Sache wie einem Garten entdecken. Vom großen bis ins kleinste Detail. Das war auch der Grund meines Panoramaprojektes „Carolas Garten, das mindestens noch bis Ende 2020 (Hinweis der Redaktion: das war der Stand am 9. April 2019, hat sich aber geändert) in Leipzig zu sehen ist. Ich saß wochenlang in einem idyllischen, verwunschenen Garten und habe das bunte Leben und Treiben um mich herum studiert, fotografiert und gezeichnet. Wer in „Carolas Garten“ eintaucht, erlebt die Natur aus der Perspektive eines Insekts – Pflanzen, Blüten, Gras, andere Lebewesen, alles ist stark vergrößert. Optischer Mittelpunkt ist eine gigantische Biene, die eine Kamille bestäubt. Ein kleines Insekt, das so viel leistet und Bedeutendes für eine intakte Natur tut. 

„Mein Lehrauftrag hat mich unglücklich gemacht

 

Yadegar Asisi hat immer neue Ideen für Panoramabilder. Hier eine Auswahl an bestehenden und kommenden Ausstellungen: Am 4. Juli 2020 wurde die Panorama-Ausstellung „Die Kathedrale von Monet – die Hoffnung der Moderne“ im Panorama XXL in Rouen (Frankreich) eröffnet.

Wenn alles coronabedingt klappt, wird im Juli 2021 in Konstanz das Panorama zum „Konstanzer Konzil 1414-1418“ in einem neu errichteten Ausstellungsbau eröffnet. Und für den Spätsommer 2021 ist das Panorama „New York 9/11“ in Leipzig geplant.

Zu allen Panoramabildern gibt es Begleitbücher, die entweder direkt vor Ort oder im Buchhandel gekauft werden können.

Foto/Copyright: Markus Nowak

 

Vom angestellten Professor zum eigenständigen Unternehmer: Es war ein langer Weg für Yadegar Asisi. Doch er hat es geschafft. Zu seinen Panoramabildern strömen heute Millionen Zuschauer, lassen sich von seinen detailgetreuen Darstellungen faszinieren. Stundenlanges Verweilen ist kein Problem.

Asisi sieht Geschichte anders und realistischer als in vielen überlieferten Dokumenten und Darstellungen. Das wird besonders deutlich beim Pergamon-Panorama: „Mir war immer unbegreiflich, wieso der Altar – trotz blutüberströmter Tieropfer – immer weiß und sauber gemalt wurde. Das ist doch unrealistisch. Also habe ich das, gegen viele Widerstände, geändert.“ Der Erfolg hat ihm recht gegeben.
Foto/Copyright:
Markus Nowak

Was ist das Geheimnis Ihrer Panoramabilder?

Vielleicht ist es die Verbindung aus der Darstellung von Einzelszenen, die sich zu einem Gesamtwerk formen. Das Phänomen Panorama ist der Eindruck absoluter Realität, und Sie sind mittendrin. Sie erhalten also ein viel konkreteres Gefühl für einen Raum, auch für die Größe, als es eine 3-D-Simulation je vermitteln könnte. Die Besucher nehmen eine Erinnerung mit; das Gefühl wirklich dort gewesen zu sein. Die Emotionalität ist sehr hoch. Viele Leute stehen in den Panoramen und weinen vor Ergriffenheit. Ich glaube, dass das Panorama ein Medium ist, das genau in unsere Zeit gehört.

Sehen Sie, sobald der Besucher eines meiner Panoramabilder betritt, eröffne ich ihm nicht nur eine neue Sichtweise. Meine Bilder geben ihm auch die Möglichkeit das Thema – zum Beispiel das Leben in der griechischen Metropole Pergamon rund um den legendären Altar – besser kennenzulernen. Er braucht eigentlich auch nichts über das Thema zu wissen.

Die Dimension meiner Werke ermöglicht es dem Betrachter, in den historischen Kontext des Jahres 129 nach Christus einzutauchen und den Alltag der Vergangenheit hautnah zu erleben.

Was hat er davon?

Das ist die Frage nach dem Sinn der Kunst. Ich glaube, da wir denkende und fühlende Wesen sind, müssen wir unsere Gedanken und Emotionen auch immer weiterentwickeln oder nähren. Auf diesem Weg hilft uns unter anderem die Kunst. Da gibt es Themen von Leben und Tod bis hin zu Schönheit der Welt und den verschiedenen Facetten des Lebens. Ich glaube, dass sich meine Panoramen in diesem Feld bewegen. Letztendlich ist das natürlich die Entscheidung jedes Einzelnen. Bei den historischen Themen hoffe ich, dass sich bei den Besuchern ein Verständnis dafür entwickelt, dass wir heute im Grunde genommen nicht anders leben als vor 100, 500 oder 2000 Jahren. Bis heute bestimmen uns die gleichen Gefühle und Bedürfnisse. Liebe und Hass. Freundschaft und Feindschaft. Dazugehören und Fremdsein. Reichtum und Armut. Krieg und Frieden. Zukunft und Vergangenheit. Es sind doch immer die gleichen Pole oder Anker, die unser Leben bestimmen.

Sie hatten einen Lehrauftrag an der Hochschule. Was haben Sie dort gemacht?

Ich war ordentlicher Professor für Gestaltung und hatte für viele Jahre einen Lehrauftrag für perspektivisches Zeichnen. Zu meinen Studenten und Schülern habe ich immer gesagt: „Wir wollen uns nicht mit Wissen gegenseitig fertigmachen, sondern uns einen Denkraum für neue Ideen und Möglichkeiten schaffen. Als ich merkte, dass genau das bei meiner Arbeit nicht mehr funktionierte, habe ich gekündigt. „Was kann ich tun, um Sie zu halten“, fragte mich der Hochschuldirektor bei meinem Abschied. „Nichts“, antwortete ich, „ich bin hier nicht glücklich.“

Das hat sich ausgezahlt.

Das ist sicherlich Ansichtssache. Ich wollte immer meine Träume und Visionen umsetzen. Das ist mein Antrieb – für alles, was ich mache. Ich bin ja auch nicht aufgestanden und habe gesagt: „So, jetzt mache ich Panoramabilder“. Auch das war ein langer Prozess.

Bedenken Sie, als „Everest“ in Leipzig installiert wurde, war ich ein hochverschuldeter Künstler, der sein eigener PR-Manager, Buchhalter und Produktionschef war.

Ich kann mich noch gut erinnern: Zeitungen, Fernsehen, Radio reagierten am Anfang abwartend. Nach dem Motto: „Na, was ist das für eine Spinnerei.“ Erst als immer mehr Besucher in den ehemaligen Leipziger-Gasometer strömten und sich das Interesse wie ein Lauffeuer ausbreitete, meldeten sich die Medien und sprangen auf den Zug. Meinen Erfolg verdanke ich jedem einzelnen Besucher.

Das macht mich bis heute dankbar und demütig.

„Ein Atelier, etwas zu essen – dann bin ich glücklich

Auch die ersten Jahre nach der positiven Resonanz auf das Panometer waren nicht so einfach.

Aber, ja, Sie haben recht. Es hat sich für mein Leben ausgezahlt. Das Entscheidende dabei ist: für mein Leben!

Sie müssen mal dabei sein, wenn Kinder lärmend ins Panoramabild stürzen. Und plötzlich flüstern sie nur noch, schauen sich um und beginnen das Bild zu erleben.

Von ganz nah dran bis ganz weit weg. Von ganz oben auf dem Aussichtsturm bis ganz unten am Boden. Das ist unbeschreiblich, einfach magisch.

Was bedeutet Ihnen ein sinnvolles Leben?

Ehrfurcht und Demut. Für meine Projekte war ich auf der ganzen Welt unterwegs. Ich habe unendliches Leid und Zerstörung gesehen. „Warum ist das so“, frage ich mich immer wieder. Woher kommt unser Hang zur Zerstörung und Nichtachtung der Schöpfung? Obwohl es so viele Dinge gibt, über die man traurig sein kann in der Welt, überwiegt bei mir dennoch die Hoffnung, dass wir in der Lage sind, die Dinge zum Besseren zu wenden.

Sind Sie gern unterwegs?

Sperren Sie mich in ein Atelier und geben mir etwas zu essen. Dann bin ich zufrieden. Die Reisen sind für meine Projekte unerlässlich und ich lerne viel – über die historischen Zusammenhänge, die Länder, die Menschen. Doch das nützt mir alles nichts, wenn ich nicht mit mir selbst im Reinen bin. Wenn das nicht der Fall ist, kann ich andere nicht glücklich machen.

Woher nehmen Sie Ihre Ideen?

Anlässe. Eindrücke. Eigene Erlebnisse. Neugier. Manchmal werde ich auch zu einem Panorama getragen…

… wie bitte …?

… ja. Nehmen Sie zum Beispiel „Leipzig 1813 – in den Wirren der Völkerschlacht“. Das wollte ich nicht machen. Obwohl alle mir dazu rieten. Immer wieder habe ich abgelehnt. Ich wollte keine Schlacht darstellen. Langsam aber wuchs die Idee, nicht die Völkerschlacht zum Hauptthema zu machen, sondern alles aus der Sicht der Stadt Leipzig zu zeigen, aus der Sicht der Menschen. Die Stadt war von den Franzosen besetzt, die aber kurz vor dem Rückzug standen. Dieser Gedanke hat mir gefallen. Daraus entstanden die Idee und die ersten Skizzen. Am Horizont tobt die Völkerschlacht, während sich in der Stadt die Dinge verändern. Der Betrachter steht auf dem Dach der Thomaskirche und beobachtet das ganze Geschehen. Es ist viel ergreifender über die Grausamkeit des Krieges zu reden, wenn man nach dem Ende auf das Geschehen schaut.

Bereits 1986 gestaltete Asisi illusionistische Malerei an der Berliner Mauer mit dem Titel „Mauerdurchblick“. Diese Raumillusion stellt eine malerische Rekonstruktion der in Ost-Berlin stehenden Sankt-Michael-Kirche auf der Berliner Mauer in Kreuzberg dar. Nach dem Mauerfall 1989 wurde das Mauerteil versteigert und von einem Italiener erworben. Dieser schenkte es Papst Johannes Paul II., seitdem steht die Illusion von Yadegar Asisi in den Vatikanischen Gärten in Rom. Foto/Copyright: Das Bild wurde mir von Yadegar Asisi kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Bereits 1986 haben Sie die Berliner Mauer bemalt.

Stimmt, das war an der Waldemarstraße. Hinter der Mauer stand die Michaelkirche, die teilweise von der Mauer verdeckt war. Das habe ich vervollständigt. Ein Stück davon steht heute in den Gärten des Vatikans in Rom. Das Mauerstück wurde versteigert und von einem Italiener erworben, der es Papst Johannes Paul II. schenkte.

Sie leben seit vielen Jahren in Berlin mit und ohne Mauer. Musste es da auch noch ein Mauer-Panorama sein?

Unbedingt! Ich glaube, es reicht nicht aus, nur ein paar Mauerstücke zu zeigen. Das Leben an und mit der Mauer ist ein wichtiges Thema. Es war doch erschreckend, wie wir uns alle mit der Mauer eingerichtet hatten. Sie war normal, ja, völlig selbstverständlich. Allen Rufen nach einer Wiedervereinigung zum Trotz. Niemand hat doch wirklich daran geglaubt, dass die DDR eines Tages Geschichte sein würde.

Das Leben mit und an der Mauer war selbstverständlich und normal geworden. Die Menschen, die in Berlin direkt an der Mauer lebten, konnten die Grenzsoldaten auf ihren Wachtürmen beobachten, während sie selber Kaffee tranken oder bügelten.

Seit den 80er Jahren ist Berlin-Kreuzberg mein Kiez. Damals hatten wir eine Stammkneipe direkt an der Mauer. Sie heißt „Zur Henne“. Wir haben gesoffen, während Grenzer den Auftrag hatten, auf Flüchtlinge zu schießen. Eine grausame Normalität, die im Nachhinein so nicht mehr zu verstehen ist.

„Panoramabilder sind keine historischen Dokumente“

Sind Ihre Bilder historisch korrekt?

Meine Bilder sind keine historischen Dokumente, sondern erzählen eine Geschichte. Wie beim Film. Auch dort wird eine Geschichte rund um ein Thema entwickelt, die in die entsprechende Zeit passt. Wichtig ist, dass die entsprechende Epoche, das Jahr oder das historische Ereignis rund um die Geschichte übereinstimmend dargestellt wird. Heutzutage können Sie alles überprüfen. Da müssen im Film und auf einem Panoramabild natürlich die Fakten stimmen. Aber, ob ein Auto gerade in dem Moment an meinem Mauerausschnitt die Straße passiert oder die Häuser tatsächlich genau an dem von mir gewählten Ort stehen, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist die historische Dichte, die ich in meinen Panoramabildern aufleben lasse. Oder die Momentaufnahme in einem Garten, auf dem Mount Everest oder im Great Barrier Reef.

Sie haben sicherlich mein Pergamonbild gesehen…?

… ja …

… sehen Sie, wir können heute viel anhand der historischen Funde und überlieferten Texte rekonstruieren und darstellen. Aber deshalb wissen wir nicht, ob alles wirklich genauso war.

Ich war immer verwundert, dass der Pergamonaltar überall so sauber und steril dargestellt wurde. Tatsache aber ist: Wenn Opfertiere geschlachtet und verbrannt werden, dann fließt Blut und es stinkt. Besonders während der mehrere Tage dauernden Dionysien, den Festspielen zu Ehren des Gottes Dionysos, die auch in Pergamon stattfinden und ein zentraler Bestandteil des Panoramabildes sind. Also habe ich darauf bestanden, dass dies auch gezeigt wird und nicht der saubere Altar im Mittelpunkt steht. Da gab es natürlich jede Menge Diskussionen.

Aber heute nicht mehr.

Nein, warum auch. Die Besucher sind begeistert von der Dichte der Bilder und dem realistischen Blick auf die Geschichte. Da ist zum Beispiel der Fries des Pergamonaltars. Im Museum fehlen den Figuren Arme, Beine oder Köpfe. Aber wie sähe das denn aus? Also habe ich alles vervollständigt. Gezeichnet, ganz klassisch. Es ist eine legitime Annäherung an die Realität. So wird Geschichte lebendig und verständlich. Das ist es, was ich erreichen will, denn nur so erreiche ich auch die Menschen.

Worauf dürfen wir uns als Nächstes freuen?

Zunächst einmal freue ich mich, dass ich gerade dabei bin, mir einen Traum zu erfüllen – ich arbeite an einem Buch, mit dem jeder, wirklich jeder, Zeichnen lernen kann.

Außerdem stecke ich mitten in einem neuen Panoramabild: Das Leben zur Zeit des Konstanzer Konzils zwischen 1414 und 1418. Es wird zeigen, wie es in der Stadt zuging, die für vier Jahre zum christlichen Mittelpunkt der Welt zählte, als drei Päpste das geistliche Leben beherrschten. Und die Stadt so zu einer wissenschaftlichen und kulturellen Drehscheibe Europas machten. Ich hoffe, wir können in 2021 Eröffnung feiern.

Das ist ein Panoramabild

Vereinfacht gesagt ist ein Panoramabild die künstlerische Darstellung von Raum, Zeit und Ereignissen in einem riesigen Rundgemälde. Erfunden wurde das Panoramabild von dem Iren Robert Barker und 1787 patentiert.

Sie waren meist 15 Meter hoch und hatten einen Umfang von über 100 Metern. Im 19. Jahrhundert wurden die Bilder gemalt: Dadurch, dass die Bilder mit einem dreidimensionalen Vordergrund, Figuren und Requisiten versehen wurden, wurde die Szenerie verstärkt.

Zwar wurden viele Panoramen in Museen untergebracht, aber sie entwickelten sich rasch zu Wandermedien, die durch eine organisierte Unterhaltungsindustrie kommerziell genutzt wurden. Heute kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass Panoramabilder das erste Massenmedium waren. In manchen Fällen wurden sie in eigens errichteten ortsfesten Gebäuden untergebracht.

Noch heute gibt es derartige Panoramen zum Beispiel in Altötting (Jerusalem-Panorama, Kreuzigung Christi) oder das Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen.

Heute spielen bei den Panoramen hochkomplexe Bildbearbeitungsprogramme und Hightech-Fotografie eine große Rolle.

Bei Yadegar Asisi aber ist entscheidend: Er entwirft von jeder Szene, die in einem Panoramabild zu sehen ist, genaue Skizzen, die dann fotografisch umgesetzt werden. Außerdem definiert er natürlich die gesamte Komposition des Bildes, muss also die riesige Darstellung perspektivisch beherrschen. Dazu kommt eine auf die Bildinhalte abgestimmte Geräuschkulisse und eine Lichtinszenierung, die fast immer Tag und Nacht simuliert. Asisi nutzt eine große Bandbreite an Technik, um seine Grundidee malerisch umzusetzen. Verkürzt gesagt ist es Malerei mit neuen Mitteln.

Das Panoramabild „Pergamon“ (Foto: Der Eingang in Berlin, Foto/Copyright smb) ist gut 30 Meter hoch und hat einen Umfang von etwa 104 Metern, auf denen gut 100 verschiedene Szenen aus dem Leben in Pergamon 129 Jahre nach Christus zu sehen sind. Dafür wurden die Szenen oder Einzelaspekte daraus auf mehrere 10.000 Fotos gebannt und in einem hochaufwendigen Verfahren am Computer zusammengesetzt.

Wenn alles fertig ist, wird das Panoramabild im Sublimationsdruck auf die Leinwand (ein spezielles Mischgewebe) eingedampft. Danach wird das gesamte Panoramabild mittels einer maßgefertigten Aluminiumtraverse mit Hilfe von Elektromotoren in die Höhe gezogen und installiert. Letztendlich hängt das überdimensionale Panoramabild dann an einem einzigen Ring!

Für Yadegar Asisi begann die Geschichte seiner Panoramabilder in einem alten Gasometer in Leipzig. Seine Wurzeln aber hatte er immer in Berlin. Mitten in Kreuzberg betreibt Asisi sein künstlerisches Unternehmen. Ein multidisziplinäres Team unterstützt ihn dabei: Kreation, visuelle Gestaltung, Ausstellungsdesign, 3D-Modeling, Matte Painting, Architektur, Kostümdesign, Redaktion, Projekt- und Kulturmanagement – all dies sind wichtige Voraussetzungen für seinen Erfolg: „Ohne mein Team wäre ich nichts, mit ihm alles“, sagte er im Interview, für das er sich sehr viel Zeit nahm. Nach dem Gespräch ließ es sich Yadegar Asisi nicht nehmen, mich durch seine Geschäftsräume zu führen. Wir blieben am Dresden-Panorama hängen. Der Visionär erklärte mir ruhig, aber gestenreich, wie lange es dauert, ein Panoramabild zu erschaffen. Ich konnte nur noch staunen. Foto/Copyright: Markus Nowak