Schauspieler retten lieblose Inszenierung

 

Premiere von „Venedig im Schnee“ enttäuscht

 

„Venedig im Schnee“- Diskussionen zwischen Christophe (Lukas Franke) und Patricia (Susan Ihlenfeld).©TdA

„Venedig im Schnee“- Versteht man sich oder nicht? Jean-Luc (Matthias Hinz), Christophe (Lukas Franke) und Patricia (Susan Ihlenfeld).©TdA

Von Thomas Pfundtner

Stendal – Es war eine Mischung aus Ratlosigkeit und Begeisterung, die am Ende der Premiere am 30. November 2024 der Komödie „Venedig im Schnee“ im Kleinen Haus des Theaters der Altmark bei vielen Gästen zurückblieb.

Dabei hat das Stück von Gilles Dyrek seit seiner Uraufführung 2003 im Pariser Théatre de la Pépinière (Opéra) nichts, aber auch gar nichts von seiner Aktualität eingebüßt:

Natalie und Jean-Luc sind auch vier Jahre nach ihrer ersten Nacht noch immer das turtelnde, verliebte Pärchen, das vom Glück geküsst scheint: ausreichend Geld, beruflicher Erfolg. Eine Wohnung, die gerade renoviert wird und dementsprechend aussieht. Ihr süßlicher, kitschig zu nennender Umgang miteinander, gekrönt vom ständigen Kosewort „Chouchou“ als Liebesbeweis. Erschwerend kommt hinzu, dass sie gerade ihre Hochzeit planen. In dieser Situation hat Jean-Luc seinen alten Studienfreund eingeladen, der immer so „lustig ist und mit seinen Parodien auf ehemalige Professoren alle zum Lachen bringt.“

Christophe ist mit Patricia gekommen mit der er gerade wegen eines anderen Mannes im Clinch liegt. Entsprechend schweigsam ist ihr Umgang miteinander. Zumal Patricia sich weigert, sich an der Konversation zu beteiligen. Das wiederum verstehen die Turteltäubchen miss. Sie glauben, dass die schweigsame Patricia Ausländerin ist, die wohl das Französische noch nicht beherrscht. Entsprechend behandeln sie die junge Frau wie ein Kleinkind. Sie ist erst entsetzt, entschließt sich dann aber, mitzuspielen und outet sich als Flüchtling aus dem imaginären Land Chouvenien – irgendwo in Ex-Jugoslawien, erfindet sogar eine entsprechende – osteuropäisch anmutende – Sprache. Zum Entsetzen von Christophe, beginnen Natalie und Jean-Luc eine Spendenaktion für Chouvenien sondergleichen und verdrehen sämtliche Fakten und Wahrheiten zugunsten ihrer humanitären Hilfsaktion bis zum großen Knall, der durch die Schneekugel „Venedig im Schnee“ ausgelöst wird.

„Venedig im Schnee“-So harmonisch war es nicht immer.©T.Pfundtner

„Venedig im Schnee“- Ein Quartett mit Missverständnissen. Von links Josephine Behrens, Matthias Hinz, Lukas Franke und Susan Ihlenfeld.©TdA

„Venedig im Schnee“-TdA-Premiere mit Fragezeichen?©T.Pfundtner

„Venedig im Schnee“- Droht heraufbeschworenes Unheil?©TdA

Vom Grundsatz her also die besten Voraussetzungen für die vier Schauspieler, eine begeisternde Vorstellung auf die Bretter des TdA zu bringen. Das allerdings gelingt nur in Teilen.

Wobei – die Darsteller Susan Ihlenfeld, Josephine Behrens, Lukas Franke und Matthias Hinz können dafür am allerwenigsten. Das Quartett glänzt und brilliert mit hervorragenden Interpretationen ihrer Alter Egos:

Josephine Behrens präsentiert dem Publikum eine Natalie, die wahrscheinlich auch noch an den Weihnachtsmann glaubt, aber plötzlich wegen einer Schneekugel aus allen Liebesträumen gerissen wird, so herzerfrischend naiv, dass der Zuschauer ihr eigentlich alles verzeiht. Brillant, wie Behrens sich vom schnurrenden Kätzchen einen fauchenden Tiger verwandelt und auf den Tisch springend ihrem künftigen Ehemann die emotionalen Leviten liest.

Ihr künftiger Ehemann Jean-Luc verwandelt sich durch die Rolleninterpretation von Matthias Hinz in den weisen, verständnisvollen Gastgeber, der zwar von nichts eine Ahnung hat, dennoch über alles Bescheid weiß und außerdem aus Verlustangst bereit ist, sich in jeder Situation – um des lieben Friedens willen – zum Liebeskasper zu machen.

Nicht zu vergessen, sein unbedingter Wille zum Spenden von überflüssigen Haushaltsgegenständen, denen er aber irgendwie doch nachweint, kommt gut rüber und hält den Zuschauern einen Spiegel vor: Sind wir irgendwie nicht alle ein bisschen Jean-Luc? Wollen wir nicht alle etwas Gutes tun, ohne den eigenen Geldbeutel am besten gering oder gar nicht zu belasten?

Er und Josephine Behrens sind ein wunderbar anzusehendes Paar auf Wolken, das auf einmal auf dem Boden des Gefühlsalltags landet und damit zurechtkommen muss.

Eine besondere Freude ist es, Matthias Hinz endlich mal wieder in einer größeren Rolle zu sehen, war er doch in den letzten Monaten ziemlich in der Versenkung verschwunden.

Susan Ihlenfeld ist die Rolle der Patricia auf den Leib geschrieben – und das scheint sie bis in die Haarspitzen zu genießen: So glaubt man ihr, auch dank der „rauchigen“ Stimme, jedes „chouvenistische“ Wort, jede dramatische Darstellung ihres – ach so traurigen – Schicksals trifft den Punkt und produziert Lachsalven. Mit jeder Geste, jedem Blick und jedem Funkeln in ihren Augen zeigt sie dem Publikum, was sie von Nathalie und Jean-Luc hält – eben nicht gerade viel. Auch mit ihrer „gierigen Hemmungslosigkeit“ an noch mehr Spenden zu kommen, zugunsten des eigenen Haushalts und für die Erfüllung ihres eigenen privaten Glücks. Ja, was Susan Ihlenfeld auch ohne Bühne im Privaten immer wieder beweist – sie kann Komödie und hat Spaß dabei.

Last but not least Lukas Franke. Hut ab, vor diesem „Bühnencharmeur“, der mit Panik in den Augen erst versucht, die sich anbahnende Katastrophe zu verhindern und dann den Dingen ihren Lauf lässt. Dieses Resignieren wabert förmlich vom Bühnenrand in den Saal. So steuern er und das Publikum gemeinsam auf das wenig überraschende Ende zu. Frankes Verzweiflung scheint nicht gespielt, sondern echt und aus dem Herzen kommend. Und selten wurde auf der Bühne des TdA eine Hochzeitswette so liebevoll und energisch vorgetragen wie von ihm. Tatsächlich gebührt ihm an diesem Abend die Komödien-Krone. Und mit Susan Ihlenfeld bildet er an diesem Abend ein Paar, dass bei allen Irrungen und Wirrungen normal geblieben ist und allen Streitereien zum Trotz an einem Strang zieht.

Ein lohnenswerter, amüsanter Abend durch die vier Darstellenden und die Ausstattung

„Venedig im Schnee“- Verdienter Applaus für die vier Darstellenden.©T.Pfundtner

„Venedig im Schnee“- nicht nur die Darstellenden erhalten Applaus.©T.Pfundtner

So weit, so schön. Wirklich? Nein, es bleibt auch Ratlosigkeit zurück. Ja, in einer Komödie werden Personen und Charaktereigenschaften überspitzt dargestellt. Zum einen, um Pointen zu setzen, zum anderen, um Inhalte zu erklären. Aber nicht so wie an diesem Abend. Gerade im ersten Akt überschritt der Regisseur die Schmerzgrenze beim Publikum, so extrem lässt er seine Schauspieler ihre Personen überzeichnen. Ja, der Autor hat bestimmt ganz bewusst Übertreibungen eingebaut, aber so?

Nein.

Was der erste Akt bot, war belastend, denn es engte die Künstler extrem ein und langweilte über weite Strecken das Publikum. So sehr, dass eine Dame in der Pause das Theater verließ.

Schade, dass Dramaturg Roman Kupisch zuließ, dass „Venedig im Schnee“ bereits nach wenigen Minuten nicht mehr komisch wirkte, sondern anstrengte. Hier wäre Fingerspitzengefühl und nicht die Keule gefragt gewesen. Lange sah man im Publikum nicht mehr so viele unauffällige Blicke auf die Armbanduhr.

Wie sagte ein Zuschauer in der Pause: „Um glaubwürdig zu sein, sollte man nicht unglaubwürdig werden.“

Auch warfen einige Details Fragen auf und erschienen nicht zu passen: zum Beispiel der golden glitzernde Ehering an der Hand des unverheirateten Jean-Luc. Das Chanson „Du lässt Dich gehen“ von Charles Aznavour – fehl am Platz. Tatsächlich ließen sich die beiden Hauptdarstellerinnen nicht gehen, sondern standen mit eleganten Roben auf der Bühne und sahen umwerfend aus. Auch die anderen Textzeilen passten überhaupt nicht zum Thema. Vielleicht war das Lied symbolisch gemeint, nur welche Symbole gemeint waren, ließ der Regisseur im Dunklen. Es drängte sich das Gefühl auf, die Stendaler „Venedig im Schnee“-Inszenierung wurde im Schnelldurchgang auf die Bühne gebracht. Schade!

Fazit: Vier gut aufgelegte TdA-Schauspieler und die gelungene Ausstattung von Mark Späth – allein der Vorhang aus Plastikfolie, wie sie auf Baustellen verwendet wird, ist ein Hingucker – machten den Abend dennoch lohnenswert, einer suboptimalen Inszenierung zum Trotz. Dafür vielen Dank.

Schlussapplaus für alle Beteiligten des Stücks „Venedig im Schnee“©T.Pfundtner