Seit vielen Jahren boomen Fantasyromane. Kein Wunder, entführen sie uns doch in fremde Welten und bringen uns mit Elfen, Kobolden, Trollen, Monstern, Ungeheuern und anderen Fabelwesen in engen Kontakt. Wir können uns gruseln, freuen und begeistern. Spannende Unterhaltung eben. Dabei funktionieren alle Fantasyromane eigentlich nach dem gleichen Schema – dem Kampf des Guten gegen das Böse. Und fast immer sind es kleine, unscheinbare Wesen, die im Laufe der Geschichte zu unendlicher Größe heranwachsen und zu den Helden werden, die die Welt retten. Im Grunde genommen findet sich dieses Schema auch in alten Märchen und Sagen wieder, mit einem kleinen Unterschied. Ihnen liegt oft ein wahrer Kern zugrunde.
Seit J.R.R. Tolkien mit „Der kleine Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ den eigentlichen Grundstein für Fantasy-Epen legte, hat sich dieser Literaturbereich immer weiterentwickelt. Mittlerweile werden Geschichten erzählt, bei denen der Leser spürt, dass die Bücher verfilmbar geschrieben wurden oder sich zahlreicher Elemente aus der Welt der Bilder bedienen.
Auch bei Victoria Aveyard entsteht nach den ersten Seiten ihrer neuen Fantasy-Saga Realm Breaker für einen kurzen Moment dieser Eindruck: Im Prolog des ersten Bandes „Das Reich der Asche“ lässt die Autorin die „Armee der Asche“ aufmarschieren. Eine Zombie-Truppe, die nicht nur alles vernichtet, was ihr in den Weg kommt, sondern auch fatal an die Untoten aus der US-TV-Serie „The Walking Dead“ erinnert. Aber der Eindruck täuscht, denn Victoria Aveyard erschafft auf den nächsten 590 Seiten nicht nur eine unglaublich dimensionierte Fantasy-Welt, sondern stellt auch die sieben Protagonisten vor, die im Verlauf der Geschichte zu wahren Helden werden.
Anführerin ist Corayne, Tochter einer Piratin und eines Helden, der nie Zeit für sie hatte, sondern von Kampf zu Kampf zog. Auch ihre Mutter ist von ähnlicher Machart: Als furchtlose Piratin macht sie die Meere unsicher, während Corayne daheimbleiben muss, um die Beute zu verteilen und die Schiffsrouten ihrer Mutter zu organisieren. Doch dann fällt Coraynes Vater, getötet durch die Hand seines eigenen, machthungrigen Bruders, der mit Hilfe eines verrückten Zauberers und der „Armee der Schatten“ ein eigenes, böses Reich gründen will. Plötzlich ist Corayne gezwungen, den Untergang ihrer Heimat zu verhindern und muss das Schwert ihres Vaters ergreifen.
Im ersten Band werden der jungen Frau sechs Gefährten an die Seite gestellt: Ein junger Knappe, der als einziger Überlebender von der „Armee der Asche“ berichtet. Ein Unsterblicher, der einen gebrochenen Schwur rächen will. Eine Attentäterin, die vom eigenen Volk verstoßen wurde. Mit dabei sind auch eine alte Zauberin, deren düstere Vorhersagen nicht nur verwirren, sondern auch eintreffen. Ein Fälscher mit einer geheimnisvollen Vergangenheit. Und eine Kopfgeldjägerin, für die Geld über Moral steht…
Diese sieben Protagonisten führt Victoria Aveyard langsam und bedächtig in die Geschichte um die „Armee der Asche“ ein. Dabei widmet sie sich im ersten Teil der Realm-Breaker-Saga nicht nur ausführlich ihrer Haupt-Protagonistin Corayne, sondern auch der Kopfgeldjägerin Sorasa und ihrer Einstellung zum Leben. Gleichzeitig beschreibt sie geschickt bestimmte Wesenszüge, lässt aber viele Fragen unbeantwortet. Will sie dies bei allen sieben, total unterschiedlich gestrickten Protagonisten der Gemeinschaft durchhalten, können wir uns auf viele Realm-Breaker-Bücher freuen.
Durch die Einführung der Protagonisten und der ausladenden Vorstellung der Fantasy-Welt, ist es natürlich kein Wunder, dass die eigentlichen Handlungsstränge nur langsam anlaufen. Allerdings zum Ende des Buches dreht Victoria Aveyard auch hier ordentlich auf.
Störfaktor: Beim Lesen von Realm Breaker I hätte ich gern die Reise der sieben Helden und ihrer Gegner auf der vorne und hinten im Buch abgedruckten Karte mitverfolgt, um auch ein besseres Verständnis für Victoria Aveyards neue Welt zu bekommen. Das hat leider nicht geklappt, denn die Karten sind nicht nur zu klein, sondern geben auch keinerlei Hinweise zum besseren Verständnis der Saga. Da kann ich den Verlag nicht verstehen, dass hier nicht eine Klappkarte beigelegt oder eine andere Idee entwickelt wurde. So wird dem Leser nicht nur viel Vergnügen genommen, sondern er wird auch abgeschreckt, sich mit Aveyards fantastischen Reisen auseinanderzusetzen. Das ist schade. Sehr schade.
Fazit: Realm Breaker ist eine neue Fantasy-Saga, für die ihre Leser – gerade im ersten Teil – viel Geduld und Aufmerksamkeit brauchen. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich die Mühe lohnt und uns eine tolle Fantasy-Saga von der Bestseller-Autorin von „Die Farben des Blutes“ erwartet.
Eine sehr wohlwollende Rezension, denn ich denke, dass viele Leser diese ausführliche Einführung der Protagonisten abschreckt und nicht motiviert, das nächste Buch der Saga unbedingt haben zu wollen. Aber vielleicht gibt es andere, die genau deshalb neugierig auf den weiteren Verlauf sind. Die Karten hätte man wirklich vorne und hinten differenzieren können, hätte mehr Platz gebracht und doppelt so viele Möglichkeiten des Mitreisens.
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