Totale Kontrolle und Beherrschung rückt immer näher
Zum ersten Mal in Deutschland aufgeführt: „Shenzhen bedeutet Hölle“
Katrin Steinke überzeugt wieder einmal in dem Monologstück, das am TdA Premiere hatte

Katrin Steinke in ihrer Rolle als Inspektorin ©TdA, Nilz Böhme
Stendal – Wie viel Macht hat ein Unternehmen über seine Mitarbeiter?
Für den italienischen Autor Stefano Massini unendlich viel zumindest in seinem Stück „Shenzen bedeutet Hölle“. Jetzt könnte das Stück auch Deutschland erobern, das Theater der Altmark feierte mit einer deutschsprachigen Erstaufführung am 5. April dieses Jahres Premiere.
2010 wählten mindesten 13 Beschäftigte in dem chinesischen Konzern „Foxconn“ in Shenzhen den Freitod, indem sie vom Dach des Unternehmens sprangen oder andere Suizidwege wählten.
Bereits Jahre zuvor waren unmenschliche Arbeitsbedingungen durch die englische Zeitung „Mail on Sunday“ bekannt geworden. 15-stündige Arbeitstage, Monatslöhne von 40 Euro, die damit deutlich unterhalb des regionalen Mindestlohns lagen. Auch die Überstundenzahl lag deutlich über den arbeitsrechtlich erlaubten. Dazu Psychodruck ohne Ende. Scheinbar normal in der Millionenstadt Shenzhen an der chinesischen Ostküste, die sich seit 1980 von einer Kleinstadt zu einer Weltmetropole entwickelte. So sah es der Plan der Regierung mit vier Wirtschaftszonen, die Geschäfte mit ausländischen Investoren ermöglichte, vor. Schnell aber wurden die Schattenseiten deutlich.
Die internationale negative Berichterstattung sowie weitere Recherchen bilden die Grundlage für Massinis Stück „Shenzhen bedeutet Hölle“.
Allerdings – und das ist besonders wichtig – könnte es für viele andere Orten oder Städte in der Wirtschaftswelt stehen – nicht nur in Diktaturen.

Die Inspektorin zeigt sich von verschiedenen Seiten.©TdA,Nilz Böhme
In dem Stück steht der Konzern „Osiris“ im Mittelpunkt. Das Unternehmen ist eine der Firmen, die „rund um die Uhr“ für den Weltwirtschaftskreis ununterbrochen benötigte Komponenten „ausspucken“.
In diesem Fall, elektronische Teile für die Endhersteller von Computern, wie zum Beispiel Motherboards.
Die Mitarbeiter leiden unter zermürbenden Schichten, unbezahlten Überstunden, Produktionsdruck und natürlich ständiger Schikane der Ranghöheren.
Als immer mehr Selbstmorde an die Öffentlichkeit gelangen und schlechte Presse dem Image der Firma zu schaden droht, beschließt die Konzernleitung: Jeweils vier Arbeiter werden von einer Inspektorin (oder einem Inspektor) penibel durchleuchtet. Am Ende werden die beiden Besten mit einer Verdoppelung ihres Lohnes entlassen, die Verlierer fliegen raus. Bedeutet im Klartext: 50 Prozent der Belegschaft werden gefeuert, die anderen bekommen doppelten Lohn, müssen aber auch das Doppelte schuften. Neueinstellungen sind kein Thema.

Intendantin Dorotty Szalma nach der Premiere in Gesprächsrunde.©T.Pfundtner
Neben „Shenzhen bedeutet Hölle“, gab es noch eine weitere Premiere: Zum ersten Mal zeigte sich Intendantin Dorotty Szalma mit neuer Frisur: Etwas kürzer als gewohnt. Der Clou aber ist die neue Farbe: Strahlendes weißblond, das so richtig noch mehr Lust auf einen hellen, angenehmen Frühling macht.
Und, in ihrer typisch, lässigen und sympathischen Art, antwortete sie auf die Frage nach dem „Warum „für den neuen Look, fragte sie lächelnd: „Warum nicht …?
Da hat Frau Szalma recht, denn Farbe und Schnittform stehen ihr ausgezeichnet!

Knalhartes System mit harten Maßnahmen.©TdA,Nilz Böhme
In der „Hölle von Shenzhen“ auf der Bühne im Rangfoyer des TdA spielt Katrin Steinke den langen Arm der Konzernleitung. Sie testet auf gnadenlose Art und Weise Belastbarkeit, Loyalität und Flexibilität der Arbeitenden und Arbeit. Diese sind auf der Bühne nicht zu sehen, sondern werden durch vier Bildschirme dargestellt.
Nach der Premiere vermuteten einige Besucher, dies sei aus Kostengründen geschehen, um vier Schauspieler einzusparen. Es ist aber eine bewusste Entscheidung der Regisseurin Patricia Hachtel gewesen, denn die Antworten der Arbeiter sind auf „Ja“ oder „Nein“ eingeschränkt und sie dürfen Zustimmungspunkte bei Schlussfolgerungen (die in Fragen gekleidet werden) nur auf einer Skala verteilen.
Schon nach der Einführung und der ersten Testrunde wird klar, dass die Arbeiter kaum eine Chance haben, Fangfragen richtig zu beantworte oder den Irrungen und Wirrungen der Inspektorin zu folgen. Kein Wunder, sie weiß alles, aber auch wirklich alles über ihre vier „Opfer“ – ermöglicht durch permanente Überwachung bis tief in das Privatleben hinein und prallgefüllten Personalakten, in denen offensichtlich nichts fehlt.
Katrin Steinke besticht wieder durch ihre energische, überzeugende Darstellungskraft

Viel verdienter Applaus für eine glanzvolle Darstellung©T.Pfundtner

Das beteiligte Team des TdA erhält auch verdienten Applaus.©T.Pfundtner
Katrin Steinke – eingehüllt in einen eleganten Anzug, tailliertem Hemd und blauer Krawatte – spielt und spricht das 70-minütige Monologstück so gut, dass nicht nur Gänsehautstimmung entsteht, sondern wie ein eiskalter Hauch durch den kleinen Saal wabert. Die Stimme mal sanft und weich. Sekunden später knallhart und verachtend, um nicht zu sagen vernichtend.
Zwar werden die einzelnen Fragekomplexe abgeschlossen, doch diese Kunstpausen bringen keine Entspannung. Und der teilweise bittere, besser gesagt, zynische Humor, erschreckt. Es ist eine glänzende Vorstellung von Katrin Steinke, über die nicht mehr gesagt werden muss. Jahrelange Erfahrung und ausgezeichnete Wandlungsfähigkeit machen sich immer wieder äußerst positiv bemerkbar. Und den Schlussplot, hat sie klasse hingelegt!
Sicher, ab und zu hatte die Schauspielerin kleine Textaussätze, doch das war sicherlich in der Premiere gestattet.
Ein Lob geht auch an die einfache, stark reduzierte Ausstattung von Mark Späth und an Christian Kaiser für die Videos.
Insgesamt ein nachdenklicher stimmender, aber lohnender Abend, der leider wieder einmal nicht ausverkauft war.
Tatsächlich aber würde es sich lohnen, wenn viele Zuschauer die „Hölle von Shenzhen“ besuchen, denn auch wir steuern mittelfristig auf ähnliche Verhältnisse zu. Digitalisiert und gläsern sind wir sowieso, und die absolute Kontrolle am Arbeitsplatz rückt immer näher. Dafür gibt es viele Beispiele, die jeder leicht recherchieren kann. Ein kleiner Tipp: Totale Kontrolle von Truckern durch Satelliten…
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