
Deutscher Sachbuchpreis 2025: Bekanntgabe der Nominierten

Jury zur Auswahl des Deutschen Sachbuchpreises©mondello GmbH
Der Deutsche Sachbuchpreis wird in diesem Jahr zum fünften Mal vergeben. Der Preis zeichnet ein herausragendes Sachbuch in deutscher Originalsprache aus, das gesellschaftlich relevante Impulse setzt. Die Jury hat dafür acht herausragende Titel für die Auszeichnung nominiert. Insgesamt haben die sieben Jurymitglieder seit Ausschreibungsbeginn 234 Einreichungen von 133 Verlagen gesichtet, die seit April 2024 erschienen sind.
„Im besten Fall erlauben es Sachbücher, mit einem gewissen Abstand auf die Welt zu blicken und dabei paradoxerweise von einer Unmittelbarkeit zu sein, wie sie nur wenige Genres bieten. Dabei sind die anlegbaren Kriterien noch weitaus vielfältiger. Die Jury hat sich bei ihrer Auswahl von überraschenden Zugängen leiten lassen sowie von breiten thematischen Ansätzen.
Den nominierten Autorinnen und Autoren gelingt es, diesen Ansprüchen mit Leichtigkeit gerecht zu werden, auch bei den ganz großen Fragen der Zeit: Krieg, Bildung, KI und Digitalisierung, Geschlechtergerechtigkeit, Klimakrise oder prägenden historischen Ereignissen und Figuren. All diese Themen vermitteln die acht Bücher mit einer Nahbarkeit, die es erlaubt, komplexe Sachverhalte verständlich und lesbar darzustellen und durch ungewöhnliche Perspektiven vertraute Gewissheiten zu hinterfragen.“ Jurysprecherin Patricia Rahemipour,
Institut für Museumsforschung, Stiftung Preußischer Kulturbesitz

ISBN 978-3-406-82302-2
Erschienen am 20. Februar 2025
2. Auflage, 2025
351 Seiten mit 8 Karten und 1 Abbildung
Hardcover
Ingo Dachwitz & Sven Hilbig
Digitaler Kolonialismus.
Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen
C.H.Beck
Kommentar der Jury:
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind die Hoffnungsträger der Gegenwart: Kaum ein Problem, zu dessen Lösung sie nicht bei- tragen sollen. Wie stark der digitale Fortschritt inzwischen auf Kosten von Menschen und Natur geht, wie eng er mit Überwachung und Kontrolle verbunden ist, wird seltener thematisiert. Dachwitz und Hilbig zeigen eindrücklich diese andere Seite der Digitalisierung.
Sorgfältig legen sie dar, wie die großen Tech-Konzerne ihre Macht ausbauen und sich nach Art eines digitalen Kolonialismus die Welt aufteilen, alte Abhängigkeiten, vor allem im Globalen Süden, ver- festigen und neue etablieren. Damit demontieren sie den Mythos einer immateriellen, neutralen Technologie und tragen dazu bei, die Diskussion um die Digitalisierung zurechtzurücken.
Biografien
Ingo Dachwitz ist Kommunikationswissenschaftler und arbeitet als politischer Tech-Journalist für das preisgekrönte Investigativmedium netzpolitik.org. Auf seine Expertise zur Ethik der Digitalisierung griffen in den vergangenen Jahren unter anderem das Bundes- kanzleramt und die Evangelische Kirche in Deutschland zurück.
Für seine Recherchen zur globalen Datenindustrie wurde er 2024 mit dem Alternativen Medienpreis und dem Grimme Online Award ausgezeichnet.
Sven Hilbig ist Rechtswissenschaftler und Experte für Digitalisierung und Handelspolitik bei der gemeinnützigen Organisation Brot für die Welt. Gemeinsam mit Partnern aus dem globalen Süden engagiert er sich gegen neue Formen des Kolonialismus. Seit Jahren begleitet
er als einer der wenigen in Deutschland die Verhandlungen der Welthandelsorganisation über ein neues eCommerce-Abkommen. Er publiziert regelmäßig in den Blättern für deutsche und interna- tionale Politik.
Ingo Dachwitz & Sven Hilbig · Aladin El-Mafaalani, Sebastian Kurtenbach & Klaus Peter Strohmeier Franz-Stefan Gady · Ines Geipel · Martina Heßler · Walburga Hülk · Bernhard Kegel · Ulli Lust

Verlag: Kiepenheuer&Witsch
Erscheinungstermin: 16.01.2025
ISBN: 978-3-462-00752-7
288 Seiten
Aladin El-Mafaalani, Sebastian Kurtenbach & Klaus Peter Strohmeier
Kinder – Minderheit ohne Schutz. Aufwachsen in der alternden Gesellschaft
Kiepenheuer & Witsch
Kommentar der Jury:
Deutschland befindet sich in einer gravierenden demografischen Schieflage: Seit Jahren gehen deutlich mehr Menschen in Rente, als eingeschult werden. Die Folgen werden in der Öffentlichkeit vor- nehmlich aus der Perspektive der Boomer unter den Stichworten Altersarmut und Pflegenotstand diskutiert. Die Bildungssoziologen Aladin El-Mafaalani, Sebastian Kurtenbach und Klaus Peter Strohmeier fordern einen grundlegenden Perspektivenwechsel: In unserer altern- den Gesellschaft müssen diejenigen, die schon bald Verantwortung tragen, in den Mittelpunkt gestellt werden. Nur ein kinderorientiertes Land wird in der Lage sein, Wohlstand und Lebensqualität für alle zu garantieren. Was brauchen Kinder? Auf diese zentrale Frage geben die Autoren wegweisende Antworten und zeigen auf, wie die Gesellschaft den nötigen Kulturwandel meistern kann.
Biografien
Aladin El-Mafaalani, 1978 im Ruhrgebiet geboren, ist Professor für Migrations- und Bildungs- soziologie an der TU Dortmund. Nach dem Studium war er Lehrer am Berufskolleg Ahlen, dann Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Münster und später Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in Düsseldorf. Er studierte an der Ruhr-Universität Bochum Politikwissenschaft, Wirtschaftswis- senschaft, Pädagogik und Arbeitswissenschaft und wurde dort in Soziologie promoviert. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt 2020 den Preis der Deutschen Gesellschaft für Soziologie für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie.
Sebastian Kurtenbach, geboren 1987 in Köln, ist Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Münster.
Klaus Peter Strohmeier, geboren 1948 im Ruhrgebiet, war Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Stadt, Region und Familie an der Ruhr-Universität Bochum.

Verlag: Quadriga
Seitenanzahl: 368 Seiten
ISBN 978-3-86995-142-3
Erscheinungsdatum: 25.10.2024
Franz-Stefan Gady
Die Rückkehr des Krieges.
Warum wir wieder lernen müssen, mit Krieg umzugehen
Quadriga
Kommentar der Jury:
Das Thema dieses Buchs schien in Deutschland und Europa lange der Vergangenheit anzugehören: der Krieg. Mit schmerzhafter Prä- zision seziert der Militäranalyst Franz-Stefan Gady die politischen Fehleinschätzungen, die der Rückkehr des Krieges nach Europa zugrunde liegen, und beantwortet die Fragen: Wie werden Kriege heute geführt, welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz, welche Nuklearwaffen? Und welche Faktoren bestimmen ihren Verlauf?
Gady analysiert konkrete Szenarien, die für Europa relevant werden können, und nimmt besonders die Rolle Deutschlands als möglicher führender Militärmacht Europas in den Blick. Schließlich plädiert er für eine strategische Kultur der Abschreckung, um künftig Kriege zu verhindern. Das Buch leistet dringend notwendige Aufklärung und konfrontiert Deutschland mit der ungeliebten Realität einer neuen Weltlage.
Biografie
Franz-Stefan Gady ist unabhängiger Analyst und Militärberater. Darüber hinaus ist er Senior Fellow am Institute for International Studies in London und Adjunct Senior Fellow am Center for New American Security in Washington DC. Er berät Regierungen und Streitkräfte in Europa und den Vereinigten Staaten in Fragen der Strukturreform und der Zukunft der Kriegsführung. Feldforschungen und Beratungstätigkeiten führten ihn mehrmals in die Ukraine, nach Afghanistan und in den Irak, wo er die ukrainischen Streitkräfte, die afghanische Armee, sowie NATO-Truppen und kurdische Milizen bei verschiedenen Einsätzen begleitete. Er ist auch Reserveoffizier.

Verlag: S. FISCHER
Erscheinungstermin: 14.08.2024
320 Seiten
ISBN: 978-3-10-397568-0
Ines Geipel
Fabelland. Der Osten, der Westen, der Zorn und das Glück
S. Fischer
Kommentar der Jury:
Die Träume und Verheißungen von 1989 sind zerschellt an den Klippen eines Erinnerungsgebarens, das Verklärung und Verdrängung vor Ehrlichkeit und Einsicht gestellt hat. Diese These entfaltet Ines Geipel in „Fabelland“, einer Mischung aus Fallgeschichten, persönlicher Erinnerung und politischem Essay, die durch präzise Analyse und sprachliche Subtilität besticht. Der illusionslose Blick auf das marode System der DDR und dessen postume Beschönigung be- deutet jedoch keine weitere Abrechnung, sondern ist von Empathie und Trauer getragen. Zugleich wird in der poetischen Sprache Geipels ein Möglichkeitsdenken sichtbar, das die Hoffnung auf Ausgleich und Versöhnung nicht preisgibt. Ein erstaunliches Buch, das die verfah- renen Diskussionen um Ost und West neu beleben kann.
Biografie
Ines Geipel, geboren 1960, ist Schriftstellerin und Professorin für Verskunst an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. 1989 floh sie nach ihrem Germanistik-Studium von Jena aus nach Darmstadt und studierte dort Philosophie und Soziologie. Das zentrale Thema ihrer Arbeit als Autorin und Herausgeberin ist die deutsche Gewaltgeschichte sowohl des Nationalsozialismus als auch der DDR-Diktatur. 2011 erhielt Ines Geipel das Bundesverdienstkreuz am Bande, 2020 den Lessingpreis für Kritik, 2021 den Marieluise- Fleißer-Preis und 2023 den Erich-Loest-Preis, 2024 wurde sie für den Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse nominiert.

Verlag C.H.Beck
ISBN 978-3-406-82330-5
Erschienen am 20. Februar 2025
297 S.
Martina Heßler
Sisyphos im Maschinenraum.
Eine Geschichte der Fehlbarkeit von Mensch und Technologie
C.H.Beck
Kommentar der Jury:
Womit wir uns vergleichen, bestimmt ganz wesentlich das Bild, das wir von uns gewinnen. Martina Heßler zeigt, wie sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts eine neue Obsession breitmacht: Der Vergleich von Mensch und Maschine, der bis heute regelmäßig zugunsten der scheinbar so ausdauernden, fehlerfreien und objektiven Technik ausgeht. Heßler schaut genauer hin, entlarvt den Mythos von der perfekten Technik und stellt dem Traum von einer Welt, in der Ma- schinen uns alles Lästige und Gefährliche abnehmen, eine Realität entgegen, in der der Mensch immer mehr Energie aufwenden muss, um seine immer komplexere Technik im Griff zu behalten. Ein wichtiger Appell, im globalen Rennen um die technologische Vor- herrschaft die Frage nach dem Sinn der immer klügeren Maschinen nicht aus dem Blick zu verlieren.
Biografie
Martina Heßler ist Historikerin und seit 2019 Professorin für Technik- geschichte an der TU Darmstadt. Sie arbeitet zur Kulturgeschichte der Technik, zur Ding- und Designgeschichte, zu Wachstums- und Schrumpfungsperspektiven in Industrie- und Autostädten im 20.
Jahrhundert sowie zur Geschichte und Gegenwart des Mensch- Maschinen-Verhältnisses.

ISBN 978-3-7518-2033-2
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Veröffentlicht: 2024
Walburga Hülk
Victor Hugo. Jahrhundertmensch
Matthes & Seitz Berlin
Kommentar der Jury:
Der Brand der Pariser Kathedrale hat Hugos „Der Glöckner von Notre- Dame“ wiederbelebt. Einerseits aufgeklärt, andererseits Romantiker, ist Hugo so widersprüchlich wie sein Jahrhundert. Nach einer roya- listischen Phase setzte er sich an die Spitze des progressiven bürger- lichen Protests, was ihn nach dem Staatsstreich Napoleons III. ins Exil trieb. Der Liebhaber von Pomp und Kitsch schrieb dort „Die Elen- den“, agierte gegen Todesstrafe, Sklaverei und autoritäre Systeme.
Es gelingt der Romanistin Walburga Hülk den Politiker, Schriftsteller und unglücklichen Familienvater in Selbst- und Fremdzeugnissen sowie das Frankreich des 19. Jahrhunderts zu vergegenwärtigen. Sie zeigt Hugo als öffentlichen Intellektuellen von aktueller Bedeutung, der die Massenmedien seiner Zeit nutzt, um für ein geeintes Europa und gegen die Unterdrückung Polens durch die russische Armee ein- zutreten.
Biografie
Walburga Hülk, geboren 1953, war bis 2019 Professorin für Romani- sche Literaturwissenschaft an der Universität Siegen. Sie lehrte zuvor in Freiburg und Gießen und war Gastprofessorin an der University of California at Berkeley, der Maison des Sciences de l’Homme in Paris und der Université Polytechnique Hauts-de-France in Valenciennes. In zahlreichen Büchern und Artikeln hat sie sich immer wieder mit dem 19. Jahrhundert in Frankreich und mit der Literatur und der Kunst in der Moderne befasst. Zuletzt erschien „Der Rausch der Jahre. Als Paris die Moderne erfand“ (2019).

Dumont Verlag
Seiten: 288
Erscheinungstag: 14.10.2024
ISBN: 978-3-8321-6850-6
Bernhard Kegel
Mit Pflanzen die Welt retten.
Grüne Lösungen gegen den Klimawandel
DuMont
Kommentar der Jury:
Der Titel ist so plakativ, wie das Buch differenziert ist: Bernhard Kegel beschreibt die Funktionen von Pflanzen in diversen Ökosystemen – Wald, Moor oder Ozean – und über welche Mechanismen sie Menschen nützen. Er fokussiert dabei auf den Klimawandel und den Kohlen- stoffhaushalt. Kohlenstoff wird in pflanzlicher Masse gespeichert sowie über Fotosynthese aus der Atmosphäre aufgenommen. Kegel macht deutlich, wie mühsam und auch mit Zielkonflikten behaftet viele Initiativen sind, die diese Prozesse fördern möchten. Aber die Existenz von Anstrengungen rund um den Globus, in Europa, China, USA oder Afrika, seien es Moorkulturen in Schleswig-Holstein, Tang- wälder im Ozean oder Aufforstungen im Sahel, machen Mut. Der Autor verspricht nicht die eine Lösung, er zeigt Wege auf und reflek- tiert diese.
Biografie
Bernhard Kegel, geboren 1953 in Berlin, studierte Chemie und Bio- logie an der Freien Universität Berlin, danach Forschungstätigkeit, Arbeit als ökologischer Gutachter und Lehrbeauftragter. Seit 1993 veröffentlichte er zahlreiche Romane und Sachbücher. Bernhard Kegels Bücher wurden mit mehreren Publizistikpreisen ausgezeich- net. Zuletzt erschienen bei DuMont „Ausgestorben, um zu bleiben“ (2018) und „Die Natur der Zukunft“ (2021).

Verlag Reproduktion
ISBN 978-3-95640-445-0
256 Seiten
1. Auflage: Februar 2025
Ulli Lust
Die Frau als Mensch.
Am Anfang der Geschichte
Reprodukt
Kommentar der Jury:
Was für ein Titel! Mit einem Augenzwinkern nähert sich Ulli Lust der Frage nach der Rolle der Frau und geht dazu historisch einen weiten Weg. Auf fundierte Art verknüpft die Autorin aktuelle Perspektiven aus archäologischer Forschung, Anthropologie und Gender Studies. Dabei ist ihr Blick außerordentlich frisch und der breite fachliche Ansatz führt zu überraschenden Schlüssen. Eine Geschichte, die über viele Jahrtausende voll von weiblicher Repräsentation ist, muss weiblich gelesen werden. Die Visualisierung des Texts in Form der Graphic Novel geht dabei weit über die rein deskriptive illustrative Darstellung hinaus. Sie verbindet sich auf diskursive Weise mit dem Text und stellt so eine weitere Ebene her. „Die Frau als Mensch“ ist quasi der Dokumentarfilm unter den Graphic Novels und daher ein Sachbuch im besten Sinne.
Biografie
Ulli Lust, geboren 1967, emigrierte 1995 von Wien nach Berlin. Seither zeichnet sie Comicreportagen mit pointierten Beobachtungen aus dem modernen Alltag. 2009 erschien ein umfangreicher Comic über ihre Jugendzeit, in dem sich Reise- und Schelmenroman mit einem existenziellen Teenagerdrama verbinden: „Heute ist der letzte Tag vom Rest Deines Lebens“ (avant-verlag). Das Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt und mit Preisen ausgezeichnet, darunter der Prix de Revelation am Comicfestival in Angoulême, der Ignatz Award und der LA Times Book Award in den USA. Ihre autobiographische Graphic Novel über eine ungewöhnliche Dreierbeziehung, „Wie ich versuchte ein guter Mensch zu sein“ (Suhrkamp, 2017) schaffte es 2018 auf die Shortlist für den „Fauve d’or“ in Angoulême und gewann einen Ink- Pot-Award der Comic-con in San Diego. Ulli Lust lehrt seit 2013 als Professorin für Illustrative Gestaltung und Comic an der Hochschule Hannover.
Die feierliche Verkündung des Deutschen Sachbuchpreises findet am 17. Juni um 18 Uhr, im Kleinen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg statt.