Stendal: Rückt der Einzelhandel immer mehr ins „Nichts“?

 

 

Kennen Sie das? Sie sind länger nicht in der Innenstadt gewesen, haben sich vorgenommen, bestimmte Geschäfte zu besuchen ... und was ist? Der Geschäftsraum steht leer. Der Laden existiert nicht mehr.

Leider kommt das in letzter Zeit häufiger vor. In vielen Innenstädten - bedauerlicherweise betrifft dieses Phänomen auch Stendals Citybereich.

Die Gründe für eine Geschäftsaufgabe sind vielfältig: Oft findet sich für ein Geschäft kein Nachfolger, wenn der Inhaber in Rente geht, oder es sprechen gesundheitliche Gründe gegen eine Weiterführung. Manchmal ist es auch einfach nur eine Umorientierung, weil sich die Prioritäten im Leben verschoben haben. Aber meist sprechen ökonomische Gründe gegen eine Weiterführung.

Wie massiv die Städte tatsächlich betroffen sind, möge das Beispiel der Hansestadt Stendal zeigen.

Hier wurden einst Blumen verkauft, jetzt ist der Laden geräumt.©T.Pfundtner

 Leerstand in der Breite Straße: Auch dieses Geschäft sucht einen Nachfolger.©T.Pfundtner

Von Inken Kränz und

Thomas Pfundtner

Stendal – Der Leerstand in Stendals City greift um sich. Im Citybereich der Stadt und in den Randgebieten stehen weit über 70 Läden leer.  Allein in der City, entlang der Breite Straße, dem Schadewachten, dem Sperlingsberg, der Rathenower-, Post- oder Hallstraße sind es bereits 30 leere Läden. Dafür gibt es viele Gründe. Einige Beispiele:

Das Internet verdrängt sukzessive den Einzelhandel. Kleine oder größere Firmen, die ihre Produkte nicht gleichzeitig online im Internet anbieten, haben kaum noch eine Chance. Doch davor schrecken – warum eigentlich – besonders ältere Geschäftsinhaber zurück. „Der Technik bin ich nicht mehr gewachsen und der Aufwand lohnt sich nicht“, sagte ein Uhren- und Schmuckhändler den Autoren dieser Seite.

Tote Hose nach Ladenschluss

Gähnende Leere seit vielen Monaten. In Stendal mittlerweile nicht mehr ungewöhnlich.©T.Pfundtner

 Hier kostete einst nichts mehr als einen Euro – die Miete dürfte weitaus höher sein. Vielleicht ein Grund für die Schließung.©T.Pfundtner

  

Ein weiterer Grund – der besonders in Stendal auffällt: Warum sollen Vermieter die Obergeschosse ihrer Häuser zu attraktivem Wohnraum umbauen, wenn die Gewerbemiete im Erdgeschoss deutlich lukrativer ist und eine hohe Rendite verspricht. In Stendal hat das zur Folge, dass abends nach Ladenschluss tote Hose in der Breite Straße oder im Schadewachten herrscht. Nach zehn Uhr sieht man kaum noch Menschen in den Einkaufszonen. Ausnahme sind die letzten Restaurantgäste, Theaterbesucher oder Gäste einer Ginbar, die bis in die frühen Morgenstunden geöffnet hat.

Angst vor der Pleite: Viele Gewerbetreibende werden von Vermietern mit langlaufenden Mietverträgen extrem unter Druck gesetzt. Sicher, darauf muss niemand eingehen, aber dadurch werden viele Geschäftsideen gleich am Beginn „wieder begraben“.

In der Poststraße 3 stand seit Corona ein großes Ladenlokal leer, in dem vor der Pandemie ein Imbiss mit Mittagessen angeboten wurde. Nach der Pandemie stand der Laden leer, der Mieter musste aber dennoch blechen.

Kaffee vom Wagen erfolgreicher als im Laden

 Ende des Jahres ist Schluss in Stendal: Die Woll- und Stoffmanufaktur verlässt die Hansestadt. Stammkunden allein reichen eben nicht zum Überleben.©T.Pfundtner

Noch vor zwei Jahren gab es in diesem Geschäft Schuhe zu kaufen. Seit der Schließung scheiterte jede Neu-Vermietung.©T.Pfundtner

Dann wagte ein junger Mann, in dem Laden ein Café aufzubauen. Mit kleinen Speisen, leckeren Kaffeespezialitäten und Kuchen und freundlichem Service – das sollte doch klappen, oder?

Nein, es klappte nicht. Ende Oktober schloss das Café. „Zu wenig Umsatz“, sagte uns der Mieter. Glücklicherweise läuft der Mietvertrag lediglich bis Ende des Jahres. Auch viel Geld. Der Besitzer besucht jetzt mit seinem „Coffee-to-go-Wagen“ Märkte, Feste und ist für Privatveranstaltungen zu buchen, um seine Kaffeespezialitäten zu verkaufen. Er ist davon überzeugt, dass er damit mehr Geld verdient und seine Familie ernähren kann.

Ein weiteres Problem: In Stendal werden die Kunden nach Aussage einer Buchhändlerin durch die angehobenen Parkgebühren abgeschreckt, in die Innenstadt zu kommen. Die Stadt aber ist derzeit nicht bereit, das zu ändern, steht auch sie kurz vor der Pleite und in der Haushaltskonsolidierung. Da zählt jeder Cent. Und es bleibt kein Raum für andere Ideen, wie es gelingen kann, mehr Touristen in die Stadt zu holen. Das würde allen helfen: Der Stadt durch höhere Gewerbesteuereinnahmen, dem Einzelhandel durch mehr Umsatz und Gewinn.

Nicht verwunderlich also, dass zahlreiche Geschäftsinhaber mangelnde Unterstützung durch die Stadt beklagen. Sie haben oft den Eindruck, dass Veranstaltungen und Feste an ihnen vorbei geplant werden. „Es fehlt an einem gemeinsamen Konzept“, heißt es dann.

 Am Sachsen-Anhalt-Tag gescheitert

Opfer des Sachsen-Anhalt-Tags?©T.Pfundtner

Ranke Optik betreibt nur noch das Geschäft gegenüber dem traditionsreichen und Publikumsmagneten Kaufhaus Ramelow.©T.Pfundtner 

 Ging durch Corona „baden“ der Jeansladen Ecke Hall- und Deichstraße.©T.Pfundtner

Bestes Beispiel ist die Pleite eines Imbiss-Restaurants an der Brüderstraße. Der Inhaber scheiterte offensichtlich am Sachsen-Anhalt-Tag. Der Grund: Zu diesem Drei-Tage-Fest, das hauptsächlich von der Stadt organisiert wurde, hatte er sich – so wird erzählt –  wohl mit viel Ware eingedeckt, um den Besucherstrom verköstigen zu können. Dummerweise stand vor seinem Laden eine der großen Bühnen, sodass die Zuschauer zum einen den Imbiss nicht sahen, zum anderen der Weg dorthin um die ganze Bühne geführt hätte. Folge: Der Inhaber blieb auf seinen Waren (es wird von einem Wert von mehreren tausend Euro gemunkelt) sitzen und musste schließen. Offensichtlich hatte in der Stadt niemand daran gedacht, dass früher – beim abgesagten Sachsen-Anhalt-Tag - dort ein Friseursalon war und – deshalb die neuen Inhaber nicht informiert ...  traurig, oder?

 Seit einigen Monaten versucht ein neugegründeter Stendaler Marketingverein, Bewegung in das Handelstreiben zu bringen. Ob das gelingt?

Schwierige Frage.

Zwar sorgen sich die Mitglieder ebenfalls über die zahlreichen Geschäftsaufgaben und Restaurant-Schließungen im Zentrum.

Einzelhändlerin Riesmann vom Händlerverein sieht eine Reihe von Ansätzen, um die Innenstadt attraktiver zu machen. Beispielsweise durch das regelmäßig vom Verein organisierte „Moonlight-Shopping“ oder das Einkaufen unter dem Motto „Heimat shoppen". Darüber hinaus verweist sie auf mehrere Aktionen, bei denen Kunstwerke von Schülern in leerstehenden Geschäften ausgestellt wurden. Solche Aktionen seien wichtig für das Stadtbild. Riesmann bestätigt, dass es individuell sehr verschieden sei, welche Gründe zur Aufgabe eines Geschäfts führten. Sie wünscht sich, dass der Stadtmarketingverein mehr an Kraft und mehr Mitglieder gewinnt, um noch effektiver arbeiten zu können.

Mangelnde Solidarität unter den Händlern

Der letzte Kaffee wurde Mitte Oktober ausgeschenkt, dann schloss das Café „Kaffee König". Neuvermietung: Derzeit wohl nicht in Sicht.©T.Pfundtner

Das kleine Restaurant „Phönix“ konnte sich in der Poststraße nicht durchsetzen und gab vor einigen Monaten auf (rechts). Links daneben hielt sich sieben Jahre das Einrichtungshaus von Jeannine Ritter. Ende des Jahres ist Schluss: Die hohen Mieten vertreiben die Geschäftsfrau nach Tangermünde, wo sie auf mehr Laufkundschaft hofft.©T.Pfundtner

Allerdings ziehen hier selbst die betroffenen Händler nicht an einem Strang. Wenn beim „Moonlight-Shopping“ bis in den späten Abend, viele Läden normal schließen, ist das nicht nur für die Besucher, sondern auch für mitmachende Händlerkollegen frustrierend und eben doch kein Besuchermagnet. Von der Negativwerbung einmal abgesehen.  Und, wenn demnächst nur noch Bäckereien, Telefon- oder Barber-Shops existieren, ist das auch keine Lösung.

Dabei ginge es auch anders: Alle machen mit, Stadt, Theater, lokale Musikgruppen, Vereine, Tanzschulen, die Husaren, und, und, und. Dann käme Leben in die Breite Straße, den Markt und die Nebenstraßen. Gute Werbung, Gemeinschaftsgefühl und bessere Umsätze wären garantiert.

Aber die Realität ist eben eine andere. Und deshalb darf sich niemand wundern, wenn Stendaler Geschäftsleute mit ihrem Geschäft wegziehen und in anderen Orten mit mehr Angeboten für das Publikum einen Neuanfang wagen. Also erhöht sich der Leerstand in der Hansestadt schleichend. Die Attraktivität der Innenstadt sinkt immer weiter, weniger Menschen kommen, und ein Teufelskreis, der scheinbar nicht durchbrochen werden kann, setzt sich in Gang. Aber eben nur scheinbar. Gemeinsam könnte man einiges bewirken, aber da passiert zu wenig. - Und das ist das Traurige an der Situation! Besonders für alle diejenigen, die nach wie vor ihre Geschäfte erfolgreich betreiben und auf Besserung hoffen.

Ex-Telekomladen in der Breite Straße.©T.Pfundtner

La Casa Verkleinerung in der Breite Straße.©T.Pfundtner

Leerstand in der Breite Straße.©T.Pfundtner

Leerstand in der Marienkirchstraße.©T.Pfundtner