So was hat man lange nicht mehr gesehen
 

Besser hatte die Theatersaison nicht zu Ende gehen können: „Die 39 Stufen“ feierten im Klostergarten eine umjubelte Premiere

 

Hannes Liebmann, Josephine Behrens, Paul Worms, Katrin Steinke (von links) auf der Bühne im Klostergarten©T.Pfundtner

Zum Saisonabschluss präsentierte das Sommertheater des Theaters der Altmark ein englisches Schmankerl, das zwei Stunden für Jubel und Applaus sorgte. Vier Schauspieler spielten sich ihre Seelen aus dem Leib und nahmen das Publikum auf eine rasante Verfolgungsjagd mit, die Stendal so noch nicht erlebt hat.

Das Publikum war begeistert und spendete großen Applaus.©T.Pfundtner

Von Thomas Pfundtner

Stendal – Nanu, was war das denn? Da taucht James Bond auf und mixt Martini „geschüttelt oder gerührt?“ für die neueste Eroberung.
Die Figuren des kubanisch-amerikanischen Comiczeichners „Spion & Spion“ in schwarzen Trenchcoats und schwarzen Schlapphüten verfolgen mit spitzen Nasen ihr „Opfer“.
Blofeld, der ewige Gegenspieler von 007 muss miterleben, wie seine geliebte Miezekatze plötzlich und unerwartet im Ohrensessel das Zeitliche segnet.
Dazu Polizisten, die nicht wissen, wo links oder rechts ist, plötzliches Telefonschrillen, erstarrte Mienen, wabernder Nebel, Leitern, die sich in hohe, schottische Berge verwandeln, 39 Stufen und, und, und…
Für zwei Stunden verwandelte das Theater der Altmark den Klostergarten des Altmärkischen Museums in eine Welt aus Sex, Crime und Spionage. Premiere von „Die 39 Stufen“, eine Farce nach dem 1915 erschienenen gleichnamigen Roman von John Buchan und dem Film von Alfred Hitchcock aus dem Jahr 1935. Geschrieben wurde diese Version von Patrick Barlow und feierte 2005 am „West Yorkshire Playhouse“ Premiere, bevor es dann in London auf eine internationale Erfolgsspur bog. Die deutsche Uraufführung fand am 17. April 2008 im Grenzlandtheater Aachen statt.
Barlows Grundidee war, die Handlung des schwarz-weiß-Films mit lediglich vier Schauspielern, sparsamen Kulissen und simplen Requisiten neu (nach)zuerzählen.

Eindrucksvolles, variables Bühnenbild mit wenig Mitteln.©T.Pfundtner

Bei der TdA-Sommertheater-Inszenierung spielt Paul Worms den charmanten Schwerenöter Richard Hannay, Josephine Behrens seine drei „Weggefährtinnen“. Alle anderen Rollen – und das sind weiß Gott nicht wenige – werden von Katrin Steinke und Hannes Liebmann dargestellt.

London 1937: Nach einem Theaterbesuch nimmt Richard Hannay die höchst attraktive Annabella nicht nur in den Arm, sondern nimmt sie auch mit zu sich nach Hause. Dumm nur, dass die mysteriöse Lady am nächsten Tag tot im Sessel liegt – nachdem sie Hannay von einer Organisation namens „Die 39 Stufen“ berichtet und einen unaussprechlichen Ort in Schottland genannt hat. Hannay muss fliehen. Und nun beginnt eine rasante Verfolgungsjagd, die im Film eine ernst gemeinte Spionagegeschichte ist, im Klostergarten aber durch die vorgegebenen Bedingungen von Barlow zu einer witzigen Show für das Publikum wird. Alles erinnert an die Stilelemente von Monty Python: Rasante Kostümwechsel. Stand-Up-Comedy und Slapstick. Running-Gags und unerwartete Unterbrechung. Klamauk, Witz und Blödelei, ohne albern zu wirken.
Zwei Stunden brennen die vier Schauspielenden ein Feuerwerk an Überraschungen, Verballhornungen auf andere Hitchcockfilme und berühmte Ermittler und Situationskomik ab, die die Besucherinnen und Besucher schier von den unbequemen Gartenstühlen reißt. Szenenapplaus, Lachsalven, Schenkelklopfen – das Publikum wird zum Mitspieler und treibt so das „Stufen-Quartett“ zu Höchstleistungen. Katrin Steinke und Hannes Liebmann brillieren in den zahlreichen Rollen, verkleiden sich in Sekundenschnelle und setzen Wiener Schmäh ebenso ein, wie sächsischen Dialekt und Wortspiele.
Während der ganzen Vorstellung im Klostergarten fällt es sichtlich schwer, sich ausschließlich auf die Schauspieler zu konzentrieren: Anders als im Hitchcock-Film gibt es rasante Szenen-Schnitte. Innerhalb von Sekunden schlüpfen Steinke und Liebmann in eine andere Rolle, wechseln Dialekt und Intellekt schnell, schneller, am schnellsten. Auch die Kulisse verwandelt sich in rasantem Tempo: Kisten werden zu Zugabteilen oder eine Hotel-Rezeption. Eine Stange dient als Brücke, die Nebelmaschine pustet ordentlich schottischen Hochlandnebel oder Eisenbahndampf aufs Parkett. Alles untermalt von „kratzender“-Plattenmusik. Atmosphäre und Nostalgie pur. Ausstatter Mark Späth treibt den „Minimalismus“ zwar nicht auf die Spitze, aber ganz weit nach oben. Phantasievoll und beeindruckend.

Grandiose, rasante Vorstellung mit wandlungsfähigen, hingebungsvollen Darstellenden

Mit diesem Stück verabschiedet sich Paul Worms vom TdA in Stendal.© T.Pfundtner

Abschied Paul Worms

Viel Applaus gab es für das ganze Team, aber zum Abschied gab es besonders herzlichen für Paul Worms.©T.Pfundtner

Aber, was wären diese „39 Stufen“ ohne das Schauspieler-Quartett. Bis ganz hinten im Klostergarten ist zu spüren: Behrens, Steinke, Liebmann und Worms genießen jede Minute, jeden Dialog, jeden Überraschungsmoment und sind dabei ganz nah an den Zuschauern. Haben sie doch einen so herrlich eitlen, selbstsüchtigen Charmeur und Frauenhelden erlebt wie Paul Worms als Richard Hannay.

Für ihn ein ganz grandioser Abschied, für Stendal ein herber Verlust. Wir wünschen ihm an dieser Stelle alles Gute für eine erfolgreiche Zukunft, bedanken uns für tolle Vorstellungen und hoffen, dass er irgendwann wieder in der Hansestadt auf der Bühne steht.
Großes Lob auch an Josephine Behrens. Anstatt zu spielen, zelebriert sie förmlich die drei Frauen an der Seite des flüchtigen Hannay. Erotik, Humor, Kessheit und Selbstbewusstsein: Seht her, ich bin’s und genieße es hier zu sein, scheint jede ihre Bewegungen und Mimiken auszudrücken. Klasse und erfrischend.
Ziehen Behrens und Worms bereits alle Register, fällt es schwer für Katrin Steinke und Hannes Liebmann auch die richtigen Lobesworte zu finden. Ja, sie sind alte Hasen auf der Bühne. Und ja, sie können in jede Rolle schlüpfen und sind glaubhaft. Dabei ist es nicht ganz einfach für diesen Abend, die richtigen Worte zu finden. Vielleicht so: „Herzlichen Dank für diesen ausgezeichneten Abend, bei dem aus jeder kleinen Nebenrolle eine Hauptrolle wurde, die voll abging“!

Schwungvoll bis zum letzten Moment.©T.Pfundtner

Fazit: Endlich wieder ein Theaterabend zum Entspannen und Genießen. Ohne irgendetwas hinterfragen oder reflektieren
zu müssen.
Endlich wieder vier Schauspieler auf einer Bühne.
Endlich mal wieder ein Stoff, der alle mitnehmen und begeistern kann.
Sicher, dafür ist die Comedy-Version der „39 Stufen“ der ideale Stoff.
Ihn aber so auf die Bühne zu bringen, wie Dramaturgin Sylvia Martin, Regisseur Urs Schleiff und das gesamte – ja, ausnahmslos das gesamte – Team, es gemacht haben – das hat schon was! Es war tatsächlich ein Abend, der „mitgerissen“ hat.
Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass der Sommer kommt, es warm wird, damit alle Vorstellungen bis auf den letzten Platz besetzt sein werden. Wir drücken die Daumen.