Theater zum Zuhören
Monodrama „Sibirien“ feierte Premiere

Fast leere Bühne, Schreibtisch und Tilo Werner als erzürnter Alter.© T.Pfundtner
Von Thomas Pfundtner
Stendal – Schwarze Bühne, dunkler Schreibtisch, heller Anzug, eine Wasserflasche und ein Text zum Ablesen. Mehr brauchte es nicht, um in der Hansestadt das vor 36 Jahren von dem österreichischen Schriftsteller Felix Mitterer geschriebene Monodrama aufzuführen.
Reicht das aus? Diese Frage soll später beantwortet werden. Zunächst geht es um den Inhalt: Ein alter, ziemlich querulanter Mann (Tilo Werner) wird in ein Pflegeheim gebracht, erlebt dort viele Demütigungen und Erniedrigungen. Dagegen wehrt er sich – hadert, schreit, fleht … Er fühlt sich von seiner Familie, bei der er lange gelebt hat, ins Heim verbannt. „In Sibirien, im Kriegsgefangenenlager hatten wir mehr Freiheiten“, so vergleicht er oft das Pflegeheim mit der langen Zeit im Lager; mit Sätzen wie „Beruhigungsspritzen gab es in Sibirien nicht, aber hier.“ Dank eines „Sparbuchs“ mit Losungswort, ist es dem Alten möglich, die Oberschwester zu bestechen, um einige Vorteile genießen zu können.
Die Überreichung des Sparbuchs an seine Schwiegertochter, um eine „Wiederaufnahme“ in die Familienwohnung zu erbetteln, führt nicht zum gewünschten Ergebnis. Der Alte muss im „neuen Heim“ bleiben, ist nun aber auch seinen kleinen Vorteil los.

Schauspieler Tilo Werner und Regisseurin Dorotty Szalma.© T.Pfundtner
Während der Lesung der fünf Akte oder Szenen geht es mit dem Alten immer weiter bergab, bis hin zu einem letzten Wunsch – in Würde zu sterben.
In den gut 90 Minuten (angesetzt waren circa 60 Minuten) tauchen immer neue Fragen auf, die sich im Kreis zu drehen scheinen.
Einige Beispiele: Wurde der alte Mann wirklich abgeschoben oder kann die Familie ihn sich nicht mehr leisten und hat ihn daher ins Heim verbracht.
Entspringt der Besuch des Bundespräsidenten mit seiner „reizenden Gattin“ wie der Querulant ständig betont, den dementen Fantasien oder findet er tatsächlich statt?
Eigentlich steht nur fest, dass der Alte keine Chance hat gegen ein Gesundheitssystem, das mit Spritzen zur Beruhigung, dem Festschnallen am Bett oder Bestechungszahlen für „Busen anfassen“ arbeitet.
Tatsächlich macht der Text pessimistisch und optimistisch zugleich: Das Stück ist 35 Jahre alt und unbestreitbar hat sich inzwischen in Alten- und Pflegeheimen viel geändert. Vieles zum Guten – auch wenn längst nicht alles perfekt ist.
Tilo Werner liest mit Verve und Engagement, mal laut, mal leise oder schreiend. Aber richtiges, echtes Spielen findet nicht statt.
Auch der Schreibtisch wirkt störend: Wo ist das Bett, in dem der alte Mann angeschnallt liegen muss, bis er später doch „quersitzen“ darf.
Selbst der Anzug passt nicht zur Tragik des Stücks: Statt eines hellen Anzugs und brauner Lederschuhe wären Schlafanzug und Bademantel sicher authentischer gewesen.

Beim Schlussapplaus gab es Rosen für alle Beteiligten am Stück. © T.Pfundtner
Der unvergessene Schauspieler Fritz Muliar hat das Stück über 150 Mal gespielt und die Kritiker begeistert – ob in Deutschland oder Österreich.
Tilo Werner ist wirklich ein sehr guter Schauspieler, das hat er am TdA immer wieder bewiesen. Aber in diese Rolle passt er nach meiner Meinung nicht hinein.
In Theaterkreisen heißt es oft, dass es eine besondere Herausforderung ist, wenn ein Erwachsener ein Kind spielt. Ich denke, in „Sibirien“ war es für einen 62-jährigen Mann schwerer, einen alten Querulanten zum Leben zu erwecken.
Ein Schauspieler ohne Spiel. Eine Bühne ohne Kulisse. Irgendwie fügt sich das nicht zusammen. Da werden Erinnerungen an Lukas Frank wach, der einen Text spielte und nicht aus einem Ordner las.
Dennoch sollten sich junge und alte Menschen aus Stendal das Stück anhören – der Text ist in Teilen wirklich ergreifend. Die nächsten Vorstellungen sind am 31. Januar und am 23. Februar.
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