Auf der Suche nach dem Wiener Schmäh und der richtigen Formel
Premiere im Kaisersaal des Theaters der Altmark: Texte und Lieder erkunden ein Phänomen
Weaner Schmäh am Stendaler TdA©T.Pfundtner
Da rennt der Schmäh …
Eine ethnografische Erkundung mit Musik von Kerstin Slawek, Hannes Liebmann und Niclas Ramdohr
Mitwirkende des Theaters der Altmark
Die Wienerin Kerstin Slawek
Der Steirer Hannes Liebmann
Der Begleiter Niclas Ramdohr
Regie Roman Kupisch
Bearbeitung & Musikalische Leitung Niclas Ramdohr
Ausstattung Gretl Kautzsch
Dramaturgie Roman Kupisch, Kerstin Slawek
Hospitanz / Produktionsassistenz Klara Stolze
Requisite Eva Wortmann
Ankleiderinnen Larysa Beier, Maria Quade
Technischer Direktor Ronald Gehr (Vertretung)
Theatermeister Steffen Nodurft / Veikko Poitz / Sirko Sengebusch
Beleuchtungsmeister Ronald Gehr
Beleuchtungseinrichtung Toralf Zaeske
Tonmeister Ralf Linder
Toneinrichtung Enrico Stephan
Werkstattleitung Steffen Poitz
Kostümwerkstattleitung Kirstin Versümer
Bühnentechnik: Michael Briest, Sebastian Franz, Marcel Jatzek, Christian Köppe, Ralf Thalis
Die angebotenen Texte in vier Kategorien.©T.Pfundtner
Von Thomas Pfundtner
Stendal – Was passiert, wenn zwei Österreicher und ein Berliner gemeinsam ein literarisch-musikalisches Programm entwickeln, um einem Phänomen auf die Spur zu kommen?
Die Antwort ist einfach: Ein herrlich entspannter, abwechslungsreicher und wie im Fluge vergehender Abend in einem Wiener Kaffeehaus.
Die Wienerin und Schauspielerin am TdA Kerstin Slawek, ihr Kollege aus der Steiermark Hannes Liebmann und der musikalische Leiter am TdA, Niclas Ramdohr, versuchen mit ihrem Programm „Da rennt der Schmäh“ einem Phänomen auf die Spur zu kommen, dass es nur in Wien gibt – und zur österreichischen Hauptstadt gehört wie das Brandenburger Tor zu Berlin.
Wikipedia definiert: Wiener Schmäh (kurz auch Schmäh) bezeichnet eine umgangssprachliche Wendung, die eine charakteristisch wienerische Art des Humors in der Kommunikation darstellen soll. Sie bezeichnet keine „Schmähung“, sondern bezieht sich auf eine allgemeine, in erster Linie sprachliche Umgangsform. Und die ist mal leicht, geistreich und unterhaltsam, kann aber auch zynisch, charmant unfreundlich oder extrem bissig sein.
Die Wiener selbst sagen, dass der Wiener Schmäh sehr eigen ist, zuerst etwas grausam wirkt, aber eigentlich tiefgründig ist und viel freundlicher gemeint.
Das Publikum ist begeistert.©T.Pfundtner
Die Wiener sind aktiv – auch auf der Bühne.©T.Pfundtner
Seit gut 200 Jahren beschäftigt der Wiener Schmäh Autoren und Literaten, die ihm mit Essays, Geschichten, Reportagen zum „Rennen“ bringen. Angefangen hat alles mit dem Satz von Johann Nestroy „Die Phönizier haben das Geld erfunden – aber warum so wenig …“ Ein Satz, der auch heute noch die Menschen zum Lachen bringt.
Tatsächlich erklimmt der Wiener Schmäh immer neue Höhen und „rennt wie der Teufel“ von einer Konversation oder einem Text zum anderen. Ein Ende ist nicht abzusehen.
Genau diesem Phänomen haben sich Slawek, Liebmann und Ramdohr gewidmet. Die Schauspieler suchten für die Themen „Liebe und Beziehungen“, „Unter Wienern“, „Menschen, Menschen san ma alle“ und „Wos host gsagt?“ jeweils drei bis vier Texte von fast ausschließlich in Wien geborenen Schmäh-Expertinnen oder -Experten (nur Joseph Roth kam im ukrainishen Brody zur Welt) heraus und ließen das Publikum entscheiden, welcher verlesen werden sollte, um den Schmäh zu erklären.
Zeitvorgabe – nach einer längeren Vorrede über die Wiener Besonderheit – zum Vortragen: 60 Minuten. Nach jedem Vorlesen wurde das Programm durch den musikalischen Begleiter mit Liedern von Udo Jürgens, Falco oder der Ersten Allgemeinen Versicherung (alles Österreicher) mehr als nur ergänzt.
Das Besondere daran: Mit dem Soloprogramm „Ein Begleiter packt aus“, begeistert der Musiker und Schauspieler seit Jahren am TdA das Publikum. Nun also die Klammer, zu einem weiteren Programm. Was ihm erneut ermöglicht, sein großes schauspielerisches Potential unter Beweis zu stellen und das Publikum mitzunehmen. Das schaffen selbstverständlich auch Kerstin Slawek und Hannes Liebmann. Die beiden haben noch ein besonderes As im Ärmel, um die anwesenden Zuschauer zu verleiten, weitere Vorstellungen zu besuchen. Bevor der erste Text verlesen wird, stellt Kerstin Slawek eine Sanduhr auf den Klavierdeckel, in der der Sand genau 60 Minuten durchläuft. Bereits nach der ersten Leserunde ahnen die Zuschauer, dass die angebotenen 15 Texte in einer Stunde unmöglich zu schaffen sind. Also, liebes Publikum „schaut ruhig öfter vorbei, um den Schmäh zu verstehen.“
Ein perfekter Cliffhanger – tatsächlich meinten viele Besucher gleich nach der Premiere, dass sie unbedingt mehr über den Schmäh erfahren wollten, also wiederkommen würden.
Lohnt es sich also, „Da rennt der Schmäh“ zu besuchen? Auf jeden Fall. Kerstin Slawek und Hannes Liebmann lesen die Texte, in denen sie die Wiener Besonderheit erklären möchten, in einer Art und Weise, die an den typischen Schmäh-Kellner im Kaffeehaus erinnert. „Oh, 30 Cent Trinkgeld. Hoffentlich verhungerns net, also behaltens bittschön ihr Gnedl (ein österreichischer Begriff für Geld)…“
Man könnte ihnen stundenlang an den Lippen hängen und ihrem Vorlesen lauschen. Auch die kleinen Spitzfindigkeiten, mit denen sich das Trio die Bälle zuspielt, reizen zum Schmunzeln oder Lachen. Nicht zu vergessen, ihre Mimik und die kleinen, unauffälligen Gesten, mit denen sie aus einer Lesung ein Erlebnis machen.
Dieses Stück kann man mehrmals ansehen und es wird unterschiedlich sein
Die Darstellenden holen sich den verdienten Applaus ab.©T.Pfundtner
Ja, dieser Abend lohnt sich und fände sicher auch sein Publikum nicht nur im Kaisersaal, sondern auch im „Kleinen Theater“ des TdA. Aber auch diese gut 100 Plätze werden nicht ausreichen, um in den kommenden Jahren, alle Varianten mit den 15 Texten auf die Bühne zu bringen. Warum?
Ganz einfach: Wer 15 Texte miteinander kombiniert und dabei berücksichtigt, dass diese in vier Themenfelder unterteilt sind.
Sollte diese mathematische Formel anwenden, wenn sich die Texte nicht wiederholen dürfen:
n!/(n−m)! · m!
Wenn die Texte sich wiederholen dürfen, lautet die Formel
(n + m - 1)! / (n - 1)! · m!
Unsere Fragen: Stimmen die Formeln und wie viele Vorstellungen wären möglich?
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