Lohnenswert, aber nicht einfach

 

 Premiere von „Dantons Tod“ am Theater der Altmark ist kein leichter Abend

 

Letzte Anweisungen während der Generalprobe©T.Pfundtner

 

Von Thomas Pfundtner

Stendal – Am Wochenende feierte im Theater der Altmark „Dantons Tod“ von Georg Büchner Premiere. Das Drama in vier Akten wurde von dem Mediziner und Schriftsteller zwischen Januar und Februar im Jahr 1835 in nur vier Wochen zu Papier gebracht und kam erst am 5. Januar 1902 im Berliner Belle-Alliance-Theater als Produktion des Vereins „Neue Freie Volksbühne“ zum ersten Mal auf die Bühne. Bis dahin galt es als unspielbar, weil über 30 Personen in dem Stück den Tod von Danton begleiten, beziehungsweise ihre Sicht auf die historischen Ereignisse schildern.
Im Kern geht es in dem Drama um die Entfremdung der beiden Antreiber der Französischen Revolution (1789 bis 1799), Robespierre und Danton. Beide Männer kämpfen um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit und die Abschaffung der Monarchie in Frankreich. Büchner schildert die Zeit zwischen dem 24. März bis zum 5. April 1794. In dieser Zeit, in der aus der Revolution längst eine Schreckensherrschaft mit einer Guillotine im Dauerbetrieb geworden ist, beschließt Robespierre den Tod von Danton.
In dem Stück werden noch einmal wertfrei ihre Standpunkte, die letztendlich nur den Erfolg der Revolution im Auge haben, aber völlig konträr sind, dargestellt.

Am Theater der Altmark inszenierte Johanna Schall mit sieben Darstellern Büchners Drama, das weltweit schon unzählige Male auf eine Bühne gebracht wurde. Bis heute ist der Stoff für jeden Regisseur aber auch die Zuschauer eine Herausforderung. Erfolg und Misserfolg, aber auch Langeweile und Spannung liegen dabei dicht beieinander.

Über ihre Inszenierung hatte sich Johanna Schall, Enkelin des Dramatikers Bertolt Brecht, bereits in einem Exklusiv-Interview auf dieser Seite geäußert.

Leider konnte unser Kritiker lediglich die Generalprobe und nicht die Premiere besuchen, sodass er nicht schildern kann, wie das Publikum reagierte.
Dennoch hat er eine Meinung, die wir hier veröffentlichen.

Bühnenbild von „Dantons Tod“© T.Pfundtner

Sechs sich schminkende Schauspieler und eine kaum sichtbare Person an einem Tisch in der Mitte der Dreiseitenbühne. Eine Wand mit Plakaten und Fahndungsaufrufen (?). Hängende Mikrofone, die jederzeit rauf- und runtergezogen werden, erinnern an einen Boxring.

Plötzlich ertönt die Marseillaise. Schauspieler eilen hin und her und ein Mann (Matthias Hinz), der an seinen Charlie-Chaplin-Latschen als Komiker oder Narr zu erkennen ist, startet mit einem fulminanten Monolog: Mit unzähligen Worten erklärt er, warum es keinen Gott gibt, und leitet in die Zeiten der Französischen Revolution über. Von nun an werden die Zuschauer mit Salven von wechselnden Szenen, Monologen, Dialogen und Zwiegesprächen überschüttet: Da erklärt Danton (Oscar Seyfert), welche Sicht er auf die Revolution hat. Robespierre (Susan Ihlenfeld) begründet langwierig, warum die Revolution auch gewalttätig sein kann. Ein homosexueller Revolutionär (Paul Worms) schildert seine homophoben Erfahrungen und den Tod des Liebhabers. Danton (Oscar Seyfert) schwebt als Lebemann und Aristokrat scheinbar über allem und blickt seinem nahenden Tod beinahe lässig entgegen.

Die Schauspielenden faszinieren durch ihr ausdrucksstarkes Spiel

Siri Wiedenbusch verkörpert St.Just.© TdA, Nilz Böhme

Wie bei einem Boxkampf geht es Schlag auf Schlag. Höchste Konzentration bei den wenigen Zuschauern in der Generalprobe ist gefordert. Dabei wächst von Minute die Gefahr, dass das Publikum innerlich aussteigt, kaum noch auf die Worte und die – wirklich faszinierende Sprache von vor über 100 Jahren achtet, ­ sondern sich auf das Spiel der Darsteller konzentriert. Und das lohnt sich: Wenn Siri Wiedenbusch drei Anzugjacken überzieht, in denen sie fast verschwindet, erwächst sie in ihrer Rolle als St. Just zu einer unglaublichen Größe. Matthias Hinz, in den Charlie-Chaplin-Latschen, überzeugt in Sprache und Bewegungen: Er tänzelt wie ein Boxer, der zwischen Ballett und Kampfhaltung hin- und hergerissen wird. Paul Worms als schwuler Hérault-Séchelles könnte zu Tränen rühren. Susan Ihlenfeld als Robespierre beweist wieder einmal, dass im Spiel weniger mehr ist. In dieses Quartett fügen sich Josephine Behrens und Fynn Zinapold nahtlos ein, obwohl ihre Rollen im Vergleich zu den anderen auch weniger kraftvoll sind.

Die beste Leistung an diesem Abend aber bringt Oscar Seyfert auf die Bretter. Mit unglaublicher Lässigkeit verkörpert er den Charme der Bourgeoisie und seine Einstellung zur Revolution. Glaubwürdig bringt er rüber, dass das Volk Brot will und keine Theorien zur Revolution, die nicht satt machen.

Historische Kenntnisse sind für  dieses Theaterstück hilfreich

Der Narr (Matthias Hinz) , der Erklärungen gibt.©TdA, Nilz Böhme

Sicher, es ist nicht nur das Spiel, das das Stück interessant macht, auch die Sprache und die Worterklärungen sind faszinierend. Nur, darauf muss sich das Publikum einlassen.

Tatsächlich bleiben beim Verlassen des Saals einige Fragen: Wird mit dieser Form des intellektuellen Theaters ein breites ­ und vor allem junges Publikum, das Regisseurin Johanna Schall gern erreichen würde, erreicht? Da kommen Zweifel auf.
Wohl eher nicht, wie auch schon der Publikumsflop bei „Das große Heft“ bewies. Ja, Theater hat einen Kulturauftrag und muss auch Klassiker wie Dantons Tod auf die Bühne bringen. Aber so? Vielleicht wäre eine Inszenierung in der Art einer anderen Kulturform – zum Beispiel Comics – besser geeignet.

Wird ein junges Publikum durch anspruchsvolle Texte motiviert, ins Theater zu gehen?

Georges Danton (Oscar Seyfert) und Maximilien Robespierre (Susan Ihlenfeld).© TdA, Nilz Böhme

Stimmt es wirklich – wie Johanna Schall in unserem Interview sagte - dass wenige Kenntnisse über die Französische Revolution ausreichen, um diesen Tod von Danton zu verstehen? Hier ist die Antwort ein klares Nein: Wer diese Vorstellung besucht, sollte unbedingt an der Einführung vor dem Stück teilnehmen. Und hier bleibt nur die Hoffnung, dass diese locker und unserer Zeit angemessen erfolgt und nicht durch langwierige Worthülsen, die Zuschauer schon vor dem ersten Szenenbild abschreckt.

Mein Fazit: Dank des Ensembles lohnt es sich, „Dantons Tod“ zu sehen. Sie hauchen dieser Inszenierung, der manchmal der rote Faden zu fehlen scheint, den Atem ein, der es möglich macht, nach den zwei Stunden, trotz allem, den Daumen nach oben zu heben.

Und doch bleibt der Zweifel, ob der Stoff und die Inszenierung ein breites Publikum anziehen werden. Dafür drücke ich die Daumen!