„Einst gab es Politiker, die lange Sätze fehlerfrei und verständlich sprechen konnten“

 

Interview mit der Regisseurin, die im Theater der Altmark „Dantons Tod“ von Georg Büchner auf die Bühne bringt

 

Johanna Schall in der Zeit der letzten Vorbereitungen vor der Premiere.©T.Pfundtner

Johanna Schall, Enkelin des Dramatikers und Theaterregisseurs Bertolt Brecht, inszeniert zum zweiten Mal am Theater der Altmark einen schwierigen Stoff.
Zunächst schrieb sie nach dem Roman „Das große Heft“ der ungarischen Autorin Ágota Kristóf ein bewegendes und mitreißendes Bühnenstück. Jetzt bringt sie im TdA „Dantons Tod“ von Georg Büchner auf die Bühne.

Wieder ein schwieriger Stoff, der von den Zuschauern höchste Aufmerksamkeit und Konzentration erfordert.
Nach ihrer ersten – spektakulären Regiearbeit, die leider kein Publikumserfolg wurde – nun also ein Schauspiel über die letzten Atemzüge der Französischen Revolution.
Die Tage vom 24. März bis zum 5. April 1794 bilden den Höhepunkt der sogenannten Schreckensherrschaft, in die die Französische Revolution gemündet ist und dem Henker an der Guillotine keine Pause gönnt.

Im Mittelpunkt stehen die Revolutionäre und Gegenspieler Georges Danton und Maximilien de Robespierre.
Während Danton fordert, „die Revolution muss aufhören und die Republik muss anfangen“, regiert Robespierre mit immer härterer Hand. So will er das, in seinen Augen moralisch verkommene, Volk auf den Pfad der Tugend zwingen.
Als Danton in einer Rede nachweist, dass das Volk einfach nur Hunger hat und er dafür gefeiert wird, erkennt Robespierre, dass er seinen Gegner vernichten muss.

Johanna Schall hat aus dem Original von Georg Büchner eine eigene Fassung geschrieben und mit dem siebenköpfigen Ensemble – Josephine Behrens, Susan Ihlenfeld, Siri Wiedenbusch, Matthias Hinz, Oscar Seyfert, Paul Worms und Fynn Zinapold – erarbeitet. Hauptsächlich für junge Leute, wie Johanna Schall sagt.
Nach dem Publikums-Flop vom „Großen Heft“, was sicherlich für alle Beteiligten und das ganze Haus eine Enttäuschung war, ist nun die Hoffnung groß, dass „Dantons Tod“ erfolgreicher ins Rennen geht.
Und, wie in ihrer ersten Arbeit in Stendal, kann sich das Publikum auf eine spannende, moderne Interpretation des Büchner-Stoffes freuen.

Vor der Premiere am 1. März sprachen wir mit der Schauspielerin und Regisseurin Johanna Schall über ihre neue Regiearbeit in der Hansestadt und über die Frage, ob „Dantons Tod“ überhaupt noch zeitgemäß ist.

Johanna Schall nahm sich vor der Premiere Zeit, über „Dantons Tod“ zu sprechen und einige Fragen zu beantworten.©T.Pfundtner 

Vor 190 Jahren schrieb Georg Büchner in nur fünf Wochen „Dantons Tod“. Es spielt im Jahre 1794, kurz vor Ende der französischen Revolution, die in eine nicht gewollte Schreckensherrschaft mündete. Ist dieses Thema heutzutage noch zeitgemäß?
Auf jeden Fall. Die politischen Entwicklungen der letzten Wochen zeigen das gerade jetzt fast überdeutlich. Tatsächlich ist es so, dass wir bei den Proben, sehr viel über Politik diskutieren und am Ende bei Büchners Stück und seiner Aktualität landen.

Was reizt Sie an dem Stoff?
Ich mag die Sprache so besonders gern. Poesie und Logik und Witz und Intelligenz und Leidenschaft in Sprache gegossen.
Wie Büchner die politische Maschinerie beschreibt. Wie sich Ideen in Ideologie verwandeln, wie Ideologie zu bestimmtem Handeln zwingt und dann Grenzen überschreitet und zu Rechtsbruch und letztlich Gewalt greift.

Aber geht es letztendlich nicht immer nur um Macht?
Das ist zu einfach und hilft nicht wirklich. Was genau ist Macht?
Es gibt bei Büchner keine Guten oder Bösen. Ich habe das Stück oft gesehen – auf den Bühnen war im Westen Danton der Gute, im Osten Robespierre. Doch beide wollten ursprünglich der guten Sache – der Revolution und dem Gedanken von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ – zum Erfolg verhelfen. In der Auseinandersetzung von Danton und Robespierre wird deutlich, dass wer seine Zweifel besiegen kann, wer skrupellos wird, der ist es, der siegt; jedenfalls für den Moment. Vier Monate nach Dantons Hinrichtung, lag auch Robespierre unter dem Guillotinemesser und danach kam Napoleon.

Demokratie bedeutet auch, aushalten zu können

Im Gespräch mit T. Pfundtner ging es auch um Politik.©T.Pfundtner

Und heute in Deutschland?
Es ist entsetzlich, was derzeit in unserem Land passiert. Politisch gesehen bin ich aber leider kein „Langstreckendenker“. Als 1989 die Mauer fiel, habe ich nicht einmal geahnt, dass es zu einer Wiedervereinigung kommen könnte.

Und wenn Sie es als Momentaufnahme betrachten …?
… sitzen wir in der Klemme. Demokratie bedeutet aber auch, dass wir es aushalten müssen, dass ein nicht unbedeutender Teil unserer Bevölkerung derzeit meint, dass er rechten Ideen folgen muss. Und die Landkarte zeigt, dass im Westen eher schwarz und im Osten leider blau, oder wie in der taz („Tageszeitung“ aus Berlin – die Redaktion) braun gewählt wurde.
Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen …

„… da wird mir schwindelig!“

Wortgewandtheit fehlt Johanna Schall bei vielen Personen, die sich öffentlich äußern.©T.Pfundtner

…sehr gern.
Bis auf einen Wahlkreis hat sich meine Stadt Berlin sehr gut gehalten, wir sind tapfer geblieben.
Ich bin sehr froh, dass meine Mutter das nicht mehr miterlebt, sie hatte in ihrer Biografie massive Einschnitte wegen der Faschisten. Wenn ich heute höre, dass Herr Höcke sagt, dass Frau Weidel jetzt endlich Politik macht, wie er sie will, wird mir schwindelig.

Zurück zu „Dantons Tod“. Was sollte der Zuschauer wissen, wenn er ins Theater kommt?
Über das Stück eigentlich nur, dass ein 22-Jähriger es 1835 geschrieben hat. Ein Jahr zuvor hatte er als Medizinstudent „Der Hessische Landbote“ verfasst – ein achtseitiges Pamphlet gegen soziale Missstände; ein Aufruf, sich aufzulehnen und aufzubegehren gegen Unterdrückung. Büchner hat sich gründlich mit der Französischen Revolution beschäftigt und wurde dabei zwischen dem Gefühl „es muss etwas passieren“ und der Realität des blutigen Revolutionsterrors zerrissen. Er hat in „Dantons Tod“– sozusagen – seine eigene Zerrissenheit in zwei Figuren aufgespalten – Danton und Robespierre.
Dass diese Personen eine entscheidende Rolle in der Französischen Revolution gespielt haben, wäre gut zu wissen. Historische Details sind kein Muss…

Bei uns gibt es sogar einen Narren als Worterklärer

Die Regisseurin schrieb auch das Textbuch für das Ensemble des TdA.©T.Pfundtner

Erzählen Sie uns etwas über Ihre Inszenierung.
Es ist eine Fassung des Stücks für sieben Schauspieler, die zusammenkommen, um diese Geschichte zu erzählen. Es gibt öffentliche Reden, politische Auseinandersetzungen, hoch emotionale Szenen und burleske, ja satirische Szenen, aus denen Büchner das Stück zusammengebaut hat, fast filmisch, mit scharfen Schnitten.
Da ich die Fassung gezielt für junge Leute entwickelt habe, haben wir zu einem Trick gegriffen …

Welchem?
Wenn ich gemerkt habe, dass Wörter im Text auftauchen, die niemand mehr kennt, werden sie übersetzt.

Nanu…?
Es gibt einen Narren und wie sie wissen, haben Narren Narrenfreiheit. Er taucht unter anderem immer dann auf, wenn eine Worterklärung nötig ist. Dieses Mansplaining – also die Existenz eines Erklärers, der alles weiß, passt sehr gut, da es eine sehr männlich erzählte Geschichte ist.

Vereinfachung der Sprache und des Ausdrucks sind heute aber gang und gäbe.
Stimmt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass es Politiker gab, die richtig lange und komplizierte Sätze formulieren und fehlerfrei aussprechen konnten. Der letzte Politiker, von dem ich weiß, er konnte mehrere Nebensätze formulieren, war Barack Obama.
Wir erleben seit einigen Jahren eine Verrohung der politischen Sprache. Das ist wie eine Infektion, die sich weltweit ausbreitet – von Politiker zu Politiker. Wenn diese Personen, die ja eine Art Vorbildfunktion für ihre Bürger ausüben sollten, so mit der Sprache und miteinander umgehen .. .

Das Theater ist nicht für Ratschläge da

Was glauben Sie, welche „Lehren“ nimmt der Zuschauer mit?
Zunächst einmal: Es ist nicht Aufgabe des Theaters Ratschläge zu erteilen oder Verhaltensforderungen an die Zuschauer zu stellen. Anregen, aufregen und unterhalten. Zu zeigen, dass es nicht nur schwarz und weiß, sondern auch viele faszinierende Zwischentöne gibt.

Sie haben jetzt sechs Wochen geprobt …
… nun freue ich mich erstmal auf die Premiere und hoffe, dass die Stendaler in Mengen kommen werden.