Enkelin von Brecht inszeniert in Stendal

 

 „Das große Heft“ unter der Regie von Johanna Schall feiert Premiere im TdA

 

 

In der Altmark Zeitung vom Donnerstag, dem 25. Januar 2024, erschien das Interview mit der Regisseurin Johanna Schall. Sie ist die Enkeltochter von Bertold Brecht und führt Regie beim Stück „Das große Heft“, das am Sonnabend, 27. Januar, um 19.30 Uhr im Großen Haus des TdA Premiere feiert.

Johanna Schall vor dem TdA in Stendal.©TdA

Stendal – An diesem Sonnabend feiert im Theater der Altmark „Das große Heft“ Premiere. Inszeniert wurde das Stück von Johanna Schall, Enkelin des legendären Dramatikers und Theaterregisseurs.

Für das Theater hat sie aus dem gleichnamigen Roman der ungarischen Autorin Ágota Kristóf ein bewegendes, aber auch mitreißendes Bühnenstück geschrieben.

Im Gespräch mit der AZ spricht die Schauspielerin und Regisseurin Johanna Schall über ihre erste Regiearbeit in Stendal, ihre Vergangenheit und wie es ist, die Enkelin eines weltberühmten Dichters zu sein.

 

 Warum sind Sie nicht Schauspielerin geblieben und arbeiten seit vielen Jahren als Regisseurin?

Irgendwann wollte ich mehr und eine ganze Geschichte erzählen, nicht nur eine Figur spielen.

Gab es einen Auslöser?

Sicher. Eines Abends habe ich auf der Bühne gestanden und habe mir mitten in der Vorstellung gedacht, Du musst eigentlich gähnen. Das fühlte sich für mich nicht gut an.

In dem Stück „Das große Heft“ steht ein Großteil des TdA-Ensembles auf der Bühne. Was ist das für ein Arbeiten?

Ich mag es, wenn viele Leute auf der Bühne stehen. Finde ich sehr spannend. Dadurch kann ich völlig andere Bilder erarbeiten.

Wie kamen Sie nach Stendal?

Dorotty Szalma hat mich angerufen und gefragt, ob ich was am Theater machen wollte. Nachdem ich den Roman von Ágota Kristóf gelesen hatte, war klar, dass ich „Das große Heft“ inszenieren werde. Und dann ging es los, indem ich zuerst aus dem Roman eine Bühnenfassung geschrieben habe.

Waren Sie schon einmal in Stendal?

Noch nie! Ich habe keinerlei Beziehungen zur Stadt. Als Kind waren meine Eltern mit mir in anderen Richtungen unterwegs…

Gefällt sie Ihnen?

Ich bin Großstädterin durch und durch und liebe Berlin. Hier in Stendal ist es auch sehr schön und ich fühle mich wohl. Ich fühle mich allerdings überall wohl, wo ich arbeite.

Ich liebe es, wenn ich im Theater mit Dingen überrascht werde, die ich nicht erwarte.

 

Erzählen Sie uns etwas über „Das große Heft“.

Gern. Es ist die Geschichte von Zwillingen, die in den 40er Jahren während eines Krieges völlig auf sich selbst gestellt, erwachsen werden müssen. Das gelingt ihnen, indem sie sich eigene Moralvorstellungen schaffen und absolute Selbstkontrolle lernen.  Eigentlich spielt der Roman in Ungarn, das Buch in Ungarn.

Für die Bühne haben wir uns entschieden, das Stück in eine andere Zeit zu verlegen, in einen Ort in einem Kriegsgebiet mit vielen Grenzen. Davon gibt es derzeit leider viele.

Was macht den Roman so besonders?

Es ist ein merkwürdiges Ding, dieses Buch. Es wirkt unglaublich zusammengekocht, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Ich habe das Gefühl, Ágota Kristóf hat kein Wort zu viel zugelassen. Sie spitzt Dinge extrem zu und kippt textlich manchmal von der Komödie in die Tragödie. Sie weigert sich, sich an ein ordentliches Genre zu halten. Was mir sehr imponiert, denn es entspricht meiner Sicht auf die Welt. Das Leben ist ja auch kein Genre. Und sie hat eine harte, unerbittliche und zutiefst menschliche Art andere zu anschauen – aber ohne jeden Kitsch und Sentimentalität.

Spiegelt sich hier die Summe ihrer Erfahrungen?

Unbedingt. Für Ágota Kristóf war es ein hartes Leben. Im Krieg in Ungarn in einer Kleinstadt an der Grenze geboren und lebte in einem Kinderheim. Hat ihrem Mann zuliebe nach dem Aufstand 1956 das Land verlassen. Mit ihrem Kind landete die Familie im französischen Teil der Schweiz, obwohl sie die Sprache nicht beherrschte. Sie hat sich Französisch mit einem Wörterbuch selbst beigebracht …

… deshalb wirken ihre Sätze in dem Buch auch sehr reduziert und nüchtern …

… genau. Das Sprechen einer Fremdsprache ist deutlich einfacher als das Schreiben. Es fehlen einfach die sprachlichen Feinheiten, die eine andere Sprache fließen lassen. So etwas kann man nicht lernen.

Warum ziehen Sie von Theater zu Theater?

Das ist schnell erklärt, ich bin selbständig und muss auch Geld verdienen…

Lehnen Sie auch Angebote ab?

Ja. Beim Lesen eines Stücks muss ich an einen Punkt gelangen, an dem ich mich in den Text verliebe. Passiert das nicht, lehne ich ab.

Sie sind die Enkelin von Bertolt Brecht …

… aber ich habe ihn nie kennengelernt, insofern hat er auch nichts mit mir oder meiner Arbeit zu tun. Es ist aber auch normal für mich, dass ich oft darauf angesprochen werde. Ich würde höchstwahrlich auch Shakespeares Enkelin fragen, wenn ich sie treffen würde.

Letzte Frage: Warum sollten die Zuschauer unbedingt ins Theater kommen?

„Das große Heft“, ist ein Stück gegen den Krieg und Gewalt. Insofern braucht niemand Angst vor dem Thema „Krieg“ zu haben. Das ist gerade in diesen Zeiten, meiner Meinung nach sehr wichtig. Aber, es ist gleichzeitig unterhaltsam Es ist eindeutig ein Antikriegs-Stück, aber dennoch sehr unterhaltend. Das meine ich nicht abschätzig, auch wenn Unterhaltung bei uns oft belächelt wird. Ich liebe es, wenn ich im Theater mit Dingen überrascht werde, die ich nicht erwarte. Vielleicht mit etwas, das ich nicht erwarte oder erkenne „Ach, das ist mein Problem“, aber hier findet es auch statt. Man kann aber auch einfach ein paar sehr guten Schauspielern dabei zugucken, wie sie das tun, was sie gut können.