Musik und Theater-Team retten „Das Wrack“ vor dem Untergang

 

20 Jahre Zusammenarbeit mit der Klosterbühne in Arendsee. Da wollte das Theater der Altmark etwas ganz Besonderes auf die Bühne bringen – eine Komödie mit viel Musik

 

 Die Akteure vor der Kulisse der Klosterruine Ahrendsee©T.Pfundtner

 

Die Vorstellungen des Theaters der Altmark im Kloster Arendsee haben Tradition. Seit nunmehr zwanzig Jahren tritt das TdA mit den unterschiedlichsten Inszenierungen vor der wunderbaren Kulisse der Klosterruine auf und sorgt für Begeisterung. Komödie, Klassiker, leichte Unterhaltung – die Palette ist seit Beginn der Zusammenarbeit breit gestreut.

Bevor das TdA sich bei den Klosterruine-Verantwortlichen mit einer Torte, einem überdimensionalen Werbebanner und emotionalen Worten für die langjährige Zusammenarbeit bedankte und auf eine lange, gemeinsame Zukunft hoffte, erlebte das Publikum die Premiere von „Das Wrack“.

Ein Stück, das TdA-Intendantin Dorotty Szalma gemeinsam mit ihrem Mann Greg Stosch (Grzegorz Stosz) bereits vor Jahren als 20-minütigen Sketch schrieb und das später als längeres Stück auf die Bühne gebracht wurde. Jetzt also die erweiterte Fassung mit viel Musik und noch mehr Klamauk.

Das Paar (Kerstin Slawek und Matthias Hinz) im Wrack mit demoliertem Fahrrad©T.Pfundtner

Von Thomas Pfundtner

Arendsee – In dem Szalma-Stosch-Stück „Das Wrack“ landet ein – viele Jahre miteinander verbundenes Paar – in einem Straßengraben weit ab der Autobahn. Am Kühler des demolierten Wagens klebt ein völlig „zermatschtes“ Fahrrad an der Motorhaube – offensichtlich die Ursache des Unfalls.

Hilflos ins Auto eingeklemmt hocken fast bewegungsunfähig Rita und Robert. Sie sind zwar bereits seit vielen Jahren zusammen und in der Routine ihres Alltags gefangen. Ständig wird gestritten, aus jeder „Mücke ein Elefant gemacht“. Jede spitze Bemerkung, jeder Vorwurf, jede Beschimpfung wird mit noch härteren Worten gekontert. Aus Liebe scheint nur noch Ablehnung geworden zu sein.

Was das zerstrittene Paar nicht weiß: Längst sind sie in die Fänge von Petra, dem weiblichen Pendant von Himmelspförtner Petrus, und Persephone, Göttin der Unterwelt, geraten. Sie benutzen Rita und Robert für eine Wette, bei der es um Himmel und Hölle geht:

Sollten Rita und Robert es nicht schaffen, ihre Beziehung zu ändern, landen sie sofort in der Hölle. Versöhnen sie sich und beweisen, dass sie an einem Strang ziehen können, überleben sie den Unfall und   dürfen weiterhin auf der Erde „wandeln“.

Rita und Robert versuchen alles, um diese Chance zu nutzen, scheitern aber immer wieder an zwei tapsigen Feuerwehrmännern. Die nix auf die Reihe kriegen. Und die „himmlische Teufelsuhr“ tickt unerbittlich …

Petra (Niclas Ramdohr) und Persephone (Susan Ihlenfeld) kämpfen um das Paar.©Nilz Böhme;TdA

Eigentlich ein idealer Stoff für eine Komödie in einer lauen Sommernacht. Sicher, die Idee ist nicht neu: Bereits 1946 erzählte der Film „Ist das Leben nicht schön“ mit James Stewart und Donna Reed und dem himmlischen Engel „Clarence“ im Prinzip eine ähnliche Geschichte wie „Das Wrack“.

Allerdings mit sehr viel mehr Komödie, Herz und Verstand …, als das unnötig aufgeblasene Stück in der Klosterruine in Arendsee. Es ist unbestritten, dass das Publikum nach dem Ende vom Wrack minutenlangen Applaus spendete und damit galant die eklatanten Mängel überklatschte.

Und davon, von den Mängeln, gab es eine ganze Menge. Zum Beispiel war es sehr schwer nachvollziehbar, dass Rita und Robert, die massiv im Auto eingeklemmt sind, sich fast 14 Minuten darüber fetzen, warum sie seinem Wunsch nach sexuellen Handlungen („Du könntest mir jetzt einen bl…“) nicht nachkommen will, beziehungsweise kann. So schwer können die Verletzungen also doch nicht sein. Warum also steht das Paar an der Schwelle des Todes, wie von den göttlichen Wesen suggeriert…?

Oder die Fahrradszene: Völlig unmotiviert taucht plötzlich ein offensichtlich betrunkener Mann auf, der das Fahrrad vom Auto löst und dann verschwindet. Fairerweise aber muss gesagt werden, dass Schauspieler Tilo Werner den Drahtesel so gekonnt und charmant von der Bühne trägt, dass der Zuschauer sich ein Schmunzeln nicht verkneifen kann  …

Noch ein Beispiel: Warum an Stelle des Himmelspförtner Petrus plötzlich eine Petra diesen Posten innehat, wird den Zuschauern unauffällig in einem Nebensatz erklärt. Schlüssig ist das allerdings in keiner Weise.

Eine Erklärung könnte sein, dass Niclas Ramdohr bereits bei den beiden erfolgreichen Knef-Inszenierungen in Fummel schlüpfte und dafür gefeiert wurde. Allerdings: Damals gehörte das zwingend zur Inszenierung und passte auch. Bei „Das Wrack“ aber war und ist dieser unverständliche Regie-Gedanke völlig überflüssig.

Kommen wir zu den Feuerwehrmännern, die dem zweiten Teil zusätzlichem Schwung und Pep verleihen sollen: Langatmig und träge, werden Dienstvorschriften heruntergeleiert, Bewegungsabläufe wiederholt, um groteske Szenen zu schaffen, die aber eher nur einschläfernd wirken.

Hinzu kommt, dass die Arbeit und Engagement eines Berufsstandes, der ein Garant für die Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger ist, lächerlich gemacht und durch den Kakao gezogen wird… Und das in Zeiten der sogenannten „Political Correctness“ mit dem strengen Tabu für mögliche Diskriminierung.

Rettungsanker des Stückes sind nicht Regie oder Dramaturgie.

Robert (Matthias Hinz) und Rita (Kerstin Slawek) in einer Szene mit den Feuerwehrmännern (Fynn Zinapold und Tilo Werner).© Nilz Böhme; TdA

Das Publikum dankt für die Leistung der Mitspielenden und des TdA-Teams mit Applaus.©T.Pfundtner

Womit wir auch schon bei der Sprache und der Wortwahl sind:  Flache, nichtssagende Texte anstatt charmanter, eleganter Dialoge. Plumpe Haudrauf-Witze anstelle von feinsinnigem, hintergründigem Humor.

Über diese Sprach-Irrungen und Wirrungen konnte auch das Lachen aus dem Publikum nicht hinwegtäuschen. Möglicherweise war es verzweifeltes Lachen ob der Banalität. Nicht verwunderlich also, dass in der Pause ein Besucher gleich dreimal das Wort „peinlich“ in den Mund nahm.

Mit dieser Meinung stand der Besucher offensichtlich nicht allein da. Sie scheint auch im TdA-Team existent zu sein:

Ein Mitglied aus dem gesamten Team (Name ist der Redaktion bekannt), erklärte in einem Gespräch, dass er sich schäme an dieser Produktion beteiligt zu sein.

Was darauf schließen lässt, dass bereits während der Probenzeit die Schwächen vom „Wrack“ bekannt waren und möglicherweise auch benannt wurden.

Schauspielerinnen und Schauspieler, Techniker, Kulissenbauer – eben alle Angestellten müssen – auch wenn es ihnen nicht passt – ihren Job machen, sonst können sie gehen. Zahlreiche TdA- Angestellte haben nämlich lediglich einen Spielzeitvertrag (ein Jahr), der dann eben nicht verlängert wird. Das ist in anderen Berufen nicht anders, doch im künstlerischen Bereich kann dies schnell zur Kreativbremse werden!

Tatsächlich ist es den Menschen im Hintergrund zu verdanken, dass „Das Wrack“ vor dem absoluten Untergang bewahrt wurde: Ausstattung, Tontechnik, Licht, Kostüme oder Make-up, stimmig und passend. Für alle Beteiligten eine Eins plus.

Zwei weitere Rettungsanker müssen ebenfalls besonders hervorgehoben werden: Zum einen die Schauspielerinnen und Schauspieler. Ihrem Engagement und ihrer Kraft ist es zu verdanken, dass aus einem nichtssagenden, floskelbehafteten Bühnen-Text ein noch gerade so zu ertragender Theaterabend wurde. Beispiel Matthias Hinz: Vom umjubelten Charakterdarsteller als Richard III. zum sexistischen Egoisten. Was muss in seinem Kopf vorgegangen sein? Wenn die Rolle des Robert wenigstens pfiffig und intelligent ausgestattet gewesen wäre. Aber so, als Platitüden-Drescher?

Oder Susan Ihlenfeld als teuflische Persephone. Oder Fynn Zinapold als tumber Feuerwehrmann, der versuchte, die mangelnde Komik des Textes durch amüsierenden Körpereinsatz zu kompensieren. Nicht zu vergessen: Mit-Autorin Kerstin Slawek, Tilo Werner als Radträger und Feuerwehrmann sowie Niclas Ramdohr als Petra. Profis eben, die eine tolle Show lieferten. In einem Interview hat eine bekannte Film-Schauspielerin einmal gesagt, dass sie ihre Rollen nicht hinterfragt, sondern vor die Kamera tritt und loslegt. Dies trifft auf die Schauspielenden des TdA so bestimmt nicht zu. In zahlreichen Gesprächen und Interviews wurde stets betont, dass die Annäherung an einen Rollen-Charakter für sie eine ganz wichtige Voraussetzung ist, um auf der Bühne alles zu geben. Bei den sechs Wrack-Personen scheint das eine besondere Herausforderung gewesen zu sein. Aber es gelang und dafür gibt es ein Extra-Bienchen.

Der letzte Rettungsanker ist die Musik: Die Arrangements bekannter Hits wie „I Will Survive“ oder „Verdammt ich lieb‘ Dich“ vom musikalischen Leiter Niclas Ramdohr waren (wie schon so oft) wieder einmal vom Feinsten und verführten zum Mitsingen und -tanzen.

Ramdohr an der Gitarre und am Akkordeon, Susan Ihlenfeld am Kofferschlagzeug mit ihrer rauchigen Stimme und Julia Lehmann, eigentlich verantwortlich für die Pressearbeit, mit einer unvergleichlichen Jazzstimme – mehr geht nicht. An diesem Abend zeigte die Pressesprecherin, dass sie auch viel Spaß am Schauspiel hat, sodass zu hoffen bleibt, sie künftig öfter auf der Bühne zu sehen.

Ein Blick auf die Jubiläumsfeier.© T.Pfundtner

Abschließend sei angemerkt, dass Dorotty Szalma zum Beispiel mit der Regie von „Mama Medea“ oder der „Rocky Horror Show“ bewiesen hat, dass sie Theater kann. Umso unverständlicher, was bei der Inszenierung vom „Wrack“ passiert ist, sodass es sank wie einst die Titanic.
So viel heiße Luft wie an diesem Abend auf der Klosterbühne produziert wurde, wäre ausreichend gewesen, um hunderte Luftballons für die anschließende Jubiläumsfeier aufzupusten und in den Abendhimmel zur Himmelspforte, an der Petra den Einlass ins Paradies kontrolliert, aufsteigen zu lassen.
Vielleicht hätte nicht versucht werden sollen, anlässlich der 20-jährigen Zusammenarbeit mit der Klosterbühne Arendsee etwas ganz Besonderes abliefern zu wollen.
Vielleicht wäre es auch besser gewesen, das „Wrack“ nicht durch eine weitere Autorin „künstlich aufzublasen“. Möglicherweise hätte eine Ein-Personen-Lesung, wie vor Monaten bei „Sibirien“, dem Wrack besser zu Gesicht gestanden.

In den nächsten Wochen wird „Das Wrack“ noch zehnmal in Arendsee aufgeführt und am 30. August in Elversdorf im Garten des Vorsitzenden des TdA-Fördervereins, Professor Ulrich Nellessen, gespielt. Auf die Frage, wie ihm das Stück gefallen habe, meinte er: „Da schweigt des Sängers Höflichkeit.“ Das sagt alles, oder?