Unaufhaltbarer Verfall
Premiere von „Welche Droge passt zu mir?“ zerschmettert falsche Rauschgiftträume
Die Premierenkritik zum Theaterstück „Welche Droge passt zu mir?“ erschien am Dienstag, 26. September 2023, in der Altmark Zeitung in der Ausgabe für den Landkreis Stendal in der Rubrik Lokales unter der Überschrift: Slawek und Szalma präsentieren unaufhaltsamen Verfall und dem Untertitel: Premiere im Theater der Altmark „Welche Droge passt zu mir?“ zerschmettert Rauschgiftträume.
Stendal – Im ersten Moment sind die Zuschauer im Kaisersaal am Theater der Altmark ratlos. „Was passiert hier?“, scheinen sie zu fragen. Da stürmt eine Frau namens Hanna, Anfang 40, perfekt geschminkt die Bühne und beginnt, die Zuschauer über Drogen aufzuklären. Für sie sind Drogen keineswegs nur für Verlierer, Spinner oder Künstler reserviert. „Nur Kleinmütige und Schwächlinge wählen den sicheren Pfad. Der Held geht über den Gipfel“, zitiert Hanna ihren Lieblingsphilosophen Seneca, der von 1 bis 65 nach Christi in Rom lebte. Tatsächlich wird Hanna im Verlaufe des Abends immer wieder auf Senecas Zitate zurückgreifen, um die Vorzüge ihres regelmäßigen Drogenkonsums argumentativ zu untermauern. Was kann schon passieren? Hanna ist Hausfrau, angeblich glücklich verheiratet und Mutter eines musisch veranlagten Sohnes. Natürlich gibt es „Probleme“ wie in jeder Ehe: Hohe Schulden, um das „wunderbare Jugendstilhaus“ zu finanzieren. Ihr Sohn ist verweichlicht, wird in der Schule verprügelt und gehänselt. Ihr dicker Mann, der angeblich für einen Marathon trainiert, will ein zweites Kind. Auch die Figur bereitet Probleme. Glücklicherweise besitzt Hanna für jedes Problem den Lösungsschlüssel – Drogen: Speed hilft beim Abnehmen. Ecstasy stimmt Hanna zärtlich, damit sie ihren Mann tatsächlich lieben kann. Dank Amphetaminen ist sie fähig, mit ihrem „klapperigen und anstrengenden Sohn“ in der Badewanne zu kuscheln. Kokain verleiht ihr Mut, sodass sie sich traut, die Nachbarin zum Kaffee einzuladen… Von Minute zu Minute allerdings bröckelt die Fassade: Mehr und mehr verliert Hanna die Kontrolle. Ohne Drogen bestimmen Wahnvorstellungen und Verfolgungswahn Hannas Alltag: Der geliebte Mann wird zur Hassfigur. Der Sohn überflüssig, die Nachbarin verachtet. Nur mit Drogen wird „die Windschutzscheibe wieder klar“ – ein Teufelskreis….
Mit langem Applaus bedankt sich das Publikum bei einer erschöpften, aber glücklichen Kerstin Slawek.©T.Pfundtner
„Welche Droge passt zu mir?“ wurde auf Wunsch der neuen Intendantin Dorotty Szalma zusätzlich auf den Spielplan gesetzt. Bereits 2015 hatten sie und Schauspielerin Kerstin Slawek mit dem Monologstück von Kai Hensel am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau großen Erfolg. Kein Wunder, dank einer schauspielerischen Glanzleistung ist der Monolog anfangs zwar anstrengend, wird aber nie langweilig. Kerstin Slawek weckt mit ihrer fesselnden Interpretation der bildhaften Sprache des Textes die Fantasie des Publikums. 90 Minuten wird es zwischen ungläubigem Staunen, Entsetzen und gezwungenem Lächeln hin- und hergerissen. Gnadenlos setzt Kerstin Slawek ihren Körper ein: Sie wälzt sich auf dem Bühnenboden oder fegt durchs Publikum wie ein Derwisch. Je tiefer Hanna fällt, umso mehr rauft sich Kerstin Slawek die Haare und zerkratzt ihre Arme. Hanna schwitzt beim Entzug und erstrahlt unter Drogen. Anfangs noch jung und attraktiv, verfällt und altert Kerstin Slawek immer mehr, ist am Ende des Stücks ein körperliches Wrack. Bei allem schauspielerischen Verfall – Kerstin Slawek beherrscht den langen und nicht immer einfachen Monolog perfekt. Jedes Wort sitzt, jede Pointe passt – der Text ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Eine Traumrolle für die österreichische Schauspielerin, die zu den Neuen am Theater der Altmark gehört. Einziger Wermutstropfen: In manchen Momenten erinnert Kerstin Slawek mehr an eine Alkoholikerin denn an eine Rauschgiftsüchtige. Hier sollte – gerade am Beginn von Hannas Abhängigkeit – die Schauspielerin das Dramatische etwas reduzieren…
Ein kongeniales Team am TdA: Schauspielerin Kerstin Slawek und Regisseurin Dorotty Szalma. Fotos:©T.Pfundtner
In jeder Szene ist zu spüren, dass sich Regisseurin Dorotty Szalma und ihre Darstellerin intensiv über Drogen und Sucht informiert haben. Sie wissen, wovon sie reden und übertragen dies fast eins zu eins auf die Bühne. Was ist Spiel, was Realität – Szalma und Slawek lassen die Grenzen verschwimmen, um aufzurütteln und zu warnen: Finger weg von Drogen. Aber sie warnen nicht mit Verboten, sondern indem sie den Traum von einem suchtfreien Leben trotz Rauschgift-Konsum ad absurdum führen. Kein Wunder, dass viele Zuschauer am Ende von „Welche Droge passt zu mir?“ noch lange nach dem Ende im Kaisersaal saßen und über das Gesehene diskutierten. Zwei Tage vor der Premiere hatten Lehrer aus der Altmark die Gelegenheit, eine 45-minütige Schüler-Fassung von „Welche Droge passt zu mir?“ zu erleben. „Die Resonanz war erstaunlich“, sagt Dorotty Szalma, „ich hoffe deshalb, dass wir das Stück schon bald an vielen Schulen über den Landkreis hinaus aufführen.“ Das ist zu begrüßen – „Welche Droge passt zu mir?“ ist gerade in einer Zeit, in der der Markt von klassischen Rauschgiften und synthetischen Drogen überschwemmt wird, keine nervige Belehrung! Es erwähnt nicht die Nachteile des Drogenkonsums, sondern die Vorteile. Genau das aber konterkariert die Hauptperson so sehr, dass ihr kein Glauben mehr geschenkt wird. Ein perfekter Theaterabend, der mehr als nachhaltig ist.