Das große Heft ist ein Roman über die Kindheit eines Zwillingsbrüderpaars zu Zeiten des Krieges.von. Er erschien 1986 unter dem Titel Le grand cahier auf Französisch und wurde zum ersten Band einer Trilogie. Der Roman wurde 1987 mit dem Preis des Europäischen Buches ausgezeichnet und in mehr als dreißig Sprachen übersetzt. Im Jahr 2006 wurde das Buch in die Reihe der Schweizer Bibliothek aufgenommen. Der Roman wurde vom ungarischen Regisseur János Szász 2013 verfilmt, der Film gewann den Grand Prix beim Internationalen Filmfestival Karlovy Vary.

Plakativ blutige Szenen, politische Bekenntnisse oder ein opulentes historisches Panorama sind hier dennoch nicht zu finden, wie sonst oft üblich in der Vertreibungsliteratur. Eiskalt, präzise und lakonisch schreibt Kristóf, ihre Sätze gleichen chirurgisch gesetzten Dolchstichen, mit sparsam gewählten Worten reißt sie empfindliche Wunden in die dünne der Haut der Zivilisation – und dort, wo sie bewusst schweigt, wird der Schmerz am größten.


ISBN 9783434530442
168 Seiten
Rotbuch Verlag
Preis: 10,20 Euro

Ágota Kristóf  wurde 1935 in dem ungarischen Dorf Csikvánd geboren, der Vater ein Lehrer, zeitweise politisch verfolgt und inhaftiert. Sie wuchs bei einem ihrer Brüder auf, machte Abitur, schrieb erste Gedichte und Bühnenstücke. Nach dem antisowjetischen Ungarn-Aufstand von 1956 flüchtete die 21-Jährige mit ihrem ebenfalls oppositionellen Ehemann, der ihr ehemaliger Geschichtslehrer und der Vater ihrer damals vier Monate alten Tochter Zsuzsa war. Ihr Ziel: die Schweiz, die Romandie. – Später gab es einen zweiten Ehemann und zwei weitere Kinder.

Der Krieg, die Flucht und ihre Folgen waren ihr Lebensthema; ebenso die Entwurzelung, die Einsamkeit, die Grausamkeit, der Hass, der Verrat und die Gewalt.

Die ersten literarischen Arbeiten in der Fremde blieben poetische Versuche, die Kristóf später als „sentimentale Gedichte“ abtat, verfasste sie in ihrer Muttersprache, veröffentlicht in einer Zeitschrift für Exilliteratur. In den Siebzigern jedoch begann sie auf Französisch zu schreiben, in der „Feindessprache“, die sie sich mühsam hatte aneignen müssen; ab 1962 studierte sie Französisch an der Uni, arbeitete nebenbei in einer Textil – und in einer Uhrenfabrik in der Nähe des Städtchens Neuchâtel.

Warum „Feindessprache“? Weil sie als Autorin genau wusste, dass sie das Französische nie mit annähernder Perfektion beherrschen würde, wie das Ungarische – und zugleich weil das fremde Idiom „allmählich meine Muttersprache tötet“, wie sie später einmal sagte.

Fast sprachlos zu sein und sich so auf das Wesentliche beschränken zu müssen – was ihr großes Unglück war, war das Glück des Publikums. Kristóf hatte die 50 schon überschritten, als ihr erster Roman erschien; es sollte gleich ihr bestechendster, wahrhaftigster und brutalster sein, denn er brachte all das zur größten Geltung, was Kristóf als Erzählerin auszeichnete.

Die ungarisch-schweizerische Schriftstellerin starb am 27. Juli 2011 im Alter von 75 Jahren in Neuchâtel, wo sie sich zuletzt fast komplett in ihre Wohnung zurückgezogen hatte, gerne Krimis schaute – und schon länger nicht mehr schrieb.