Bas Kast

 

Wir müssen wieder Respekt vor der Schöpfung haben

 

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Bas Kast recherchiert, prüft und setzt Erkenntnisse um.

Dieses Interview mit Bas Kast führte ich für die Zeitschrift Stadtgottes, und es erschien dort schon im Januar 2020.

Seitdem hat der Schriftsteller Bas Kast bereits einige seiner geplanten Buchprojekte erfolgreich verwirklicht und ist jetzt sogar unter die Romanschreiber gegangen. Schon als Kind war er Fan von Hans-Magnus Enzensberger, der mit seinem Vater zusammenarbeitete, und dem er jetzt nacheiferte.

Bas Kast wurde am 16. Januar 1973 in Landau geboren. Da seine Mutter Holländerin ist, bekam er den niederländischen Vornamen Bas. Nach seinem Abitur an der Europäischen Schule in München studierte er Psychologie und Biologie (jeweils mit Diplomabschluss) in Konstanz, Bochum und Boston.
Nach einem Volontariat beim Tagesspiegel und vielen Jahren als Redakteur im Wissenschaftsressort der Zeitung, arbeitet Bas Kast seit Ende 2008 als freier Autor.

Bis heute hat er fünf Bücher veröffentlicht. „Der Ernährungskompass“ erschien 2018, ein Jahr später das dazugehörige Kochbuch. Beide stehen seit ihrem Erscheinen auf den Spitzenplätzen der Sachbuch-Bestsellerlisten.

Mit seiner Frau lebt Bas Kast in der Nähe von Würzburg, kümmert sich um ihre beiden Kinder und plant weitere Buchprojekte.

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Kochen wir uns den Planeten doch einfach gesünder – ein Motto von Bas Kast.

Sie haben mit  „Der Ernährungskompass“ eines der erfolgreichsten Sachbücher Deutschlands geschrieben.  Fast 600.000 Exemplare wurden verkauft. Worauf führen Sie das zurück? Gibt es ein neues Ernährungsbewusstsein?

Das ist eine gute Frage. Ich frage mich auch, was da passiert ist. Ich glaube aber, auch wenn wir etwas zurückblicken, dass die Menschen sich immer mehr um ihre Gesundheit kümmern. Ich denke, es begann mit dem Verpönen des Rauchens.  Erinnern Sie sich noch, wie in den 50er, 60er und 70ern gequalmt wurde? Kein Kinofilm, keine Fernsehserie ohne Zigaretten und Zigarren. Rauchen war völlig normal und gesellschaftlich anerkannt. Dann ging es los – wie so oft in Amerika. Als sogar der berühmte Marlboro-Mann an Krebs erkrankte, begann das Umdenken. Das Rauchen wurde aus der Öffentlichkeit verbannt. Aus den Gaststätten und Hotels. Aus Restaurants und öffentlichen Gebäuden. Aus dem öffentlichen Nahverkehr, und, und, und… Mehr und mehr. Fast gleichzeitig entwickelte sich eine andere Einstellung zum eigenen Körper. Nach dem Motto: Ich habe nur diesen einen. Also begannen die Menschen zu joggen, besuchten Fitness-Studios, trainierten sehr konstant – bis ins hohe Alter. Und in dieses ganze Paket gehört auch die Ernährung und ein entsprechendes Umdenken.

Als eine weitere Sache, die ich tun kann.

Inwiefern?

Wir leben doch heute in einer Zeit, in der wir immer weniger Zeit haben. Das hat die Industrie sehr gut erkannt und immer mehr Fertigprodukte auf den Markt gebracht. Ideal für Singles, berufstätige Mütter oder Alleinerziehende. Kein Wunder also, dass niemand mehr seine kostbare Zeit lange in der Küche verbringen wollte.

Industrielle Verköstigung bis hin zu den Fastfood-Ketten ist aber nicht sonderlich gesund.  Und führt schnell zu Übergewicht. Das wurde mit immer neuen Diäten, die fast immer nur mit dem berühmten Jojo-Effekt zeitlich halfen, bekämpft.

So kommt es, dass immer mehr Menschen sagen: „Ich möchte mich gesünder ernähren. Aber wie mache ich das am besten?“

Hier kam dann der Ernährungskompass ins Spiel?

Ich denke, ja. Der Grund ist ein einfacher…

Welcher?

… ich habe versucht einen Gesamtüberblick zu schaffen. „Low Carb“, „Low Fat“, „Vegetarisch“, „Vegan“ und viele andere Ernährungsrichtungen sind letztendlich doch ziemlich einseitig. Ich bin also nicht ideologisch vorgegangen, sondern ich habe versucht, etwas Licht ins Chaos zu bringen und das ganze Durcheinander bei den vielen Ernährungsphilosophien zu ordnen.

 

Warum haben Sie nach dem Ernährungskompass noch ein Kochbuch dazu verfasst?

Also, ich konnte ja nicht ahnen, dass das Buch so durch die Decke geht. Niemand konnte das ahnen. Dann meldeten sich viele Leser, die sich im Stich gelassen fühlten und meinten: „Also in der Theorie hört sich das alles ja ganz gut an. Aber wie sieht es mit Rezepten aus. Was esse ich denn nun morgens, mittags oder abends?

Es gab aber ein Problem…

Erzählen Sie …

Ich bin Journalist, der Statistiken lesen, vergleichen und analysieren kann, aber kein Koch. Also stellte mir der Verlag Michaela Baur, eine tolle Köchin und Entwicklerin von Rezepten, an die Seite. Mit ihr konnte ich dann das, was in meinem Buch steht, umsetzen. Wir haben experimentiert, verworfen, gekocht und gerührt, bis wir wirklich sagen konnten: „Ja, unsere Rezepte beweisen, gesundes Essen und Genuss schließen sich nicht aus.“

Sie haben früher so eine Art Doppelleben geführt. Auf der einen Seite sind Sie viel gejoggt, also waren sehr sportlich. Auf der anderen Seite gehörten Schokolade, Bier, Chips und Sofaromantik zu Ihrem Abendprogramm.  Also Raubbau. Was war der Auslöser, Ihr Leben umzukrempeln?

 Alles begann mit leichten Herzbeschwerden. Beim Laufen! Und das mit knapp 40! Da habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Dann wurde mein erster Sohn geboren und es kamen Zweifel. Fragen wie: „Was ist in fünf oder sechs Jahren, wenn Du mit ihm toben willst? Oder Fußball spielen?“

Werde ich dazu überhaupt noch in der Lage sein, wenn ich mich immer weiter zu einem körperlichen Wrack entwickele? Diese Vorstellung fand ich ziemlich doof.  Als mir meine Schwester dann noch beim Joggen wegrannte und ich nur ihre Fersen sah, während mein Herz raste, war mir klar, ich muss etwas ändern. Ich begann mit einer Diät. Tatsächlich fühlte ich mich besser – Kopfschmerzen verschwanden, das Herz beruhigte sich. Nun wurde ich neugierig, schließlich bin ich Wissenschaftsjournalist…

Worauf?

… auf die Zusammenhänge. So kam ich in den Berufsrhythmus des Recherchierens als Wissenschaftsjournalist. Ich begann Studien zu lesen, informierte mich, wie wirken zum Beispiel Obst oder Gemüse auf den Körper? Welche Stoffe enthalten sie? Was passiert in unseren Gefäßen? Und, und, und. Ich drang immer mehr in die tiefe Welt und die Geschichte der Ernährung ein, beschaffte mir Untersuchungen, Ergebnisse von Versuchen etc. Es war faszinierend. Zum Beispiel die Blaubeere. Faszinierend, was die für unseren Körper tun kann.

Erzählen Sie.

Gern. Also, regelmäßiger Genuss von Blaubeeren kann das Krebsrisiko senken und kann Herz – Kreislauferkrankungen vorbeugen. Damit nicht genug: Die Blaubeere enthält viele Mineralstoffe, wie Eisen, Kalzium, Magnesium oder Kalium. Dann hat sie einen hohen Ballaststoffgehalt, der gut für die Verdauung ist. Das ist aber nicht alles: Die Gerbstoffe der Blaubeere haben blutstillende und beruhigende Wirkungen. Nicht zu vergessen, die Blätter der Blaubeere werden in der Naturheilkunde zu Tee verarbeitet, der den Fettspiegel im Blut senkt.
Die Blaubeere ist nur ein kleines Beispiel, aber es zeigt, welche schmackhaften Möglichkeiten wir haben, uns gesund zu ernähren.

Sehr zum Unwillen der Lebensmittelindustrie.

Bestimmt. Es gibt tatsächlich Unternehmen, die gegen meine Thesen zu Felde ziehen. Ich erkläre unter anderem genau, warum Fertiggerichte nicht gut für uns sind und versuche, die Menschen zum selber Kochen mit frischen Produkten anzuregen. Dagegen wird sich natürlich gewehrt, mit dem Standardargument, dass es immer auf die Kalorien ankommt und jedes Lebensmittel seinen Platz in der Gesellschaft hat. Quatsch, wenn wir alle wieder mehr Zeit hätten, bräuchten wir keine Fertiggerichte.

Mich erinnert das immer an die Tabakindustrie. Wie viele Jahre haben die Hersteller von Zigaretten und Zigarren behauptet, Rauchen und Tabak würden keinen Krebs auslösen. Heute wissen wir es besser.

Oder die Zuckerindustrie. Die kann nicht ehrlich die Wirkungen von Zucker analysieren, weil sie zu dem Schluss kommen muss, dass er neutral ist und keine schädlichen Wirkungen hat. Völliger Blödsinn.

Das hört sich alles schön und gut an. Aber die Zeiten haben sich geändert.

Richtig.  Nehmen wir die Frauen. Ihre Rolle bestand über Jahrtausende darin, zu kochen und die Kinder durchzubringen. Das änderte sich erst mit einem anderen Rollenverständnis und der Emanzipierung. Die Gesellschaft veränderte sich. Endlich konnten Frauen sich entwickeln, Karriere machen und spannenden Tätigkeiten nachgehen. Dafür mussten aber andere Dinge vernachlässigt werden, zum Beispiel die strukturierte Familienversorgung mit regelmäßigen Mahlzeiten und frisch gekochtem Essen. Also waren die Menschen dankbar, dass immer mehr Fertiges zum Essen produziert und in die Läden gebracht wurde: Fertiggerichte, abgepackter Käse oder Wurst, Tiefkühlgemüse, Pizzen und, und, und…  Packung nur noch aufreißen, in den Topf und gut ist! Du selbst brauchst nichts mehr herzustellen. Und verlierst weniger Zeit.

Das hatte Folgen für die Ernährung.

Ja, denn der Markt hat darauf reagiert. Besonders in der Produktion. Bringt eine Firma etwas auf den Markt, folgt die nächste mit dem gleichen Produkt, aber leichten Veränderungen: Hier etwas mehr Salz oder Zucker, da mehr Aromen, dort andere Anreize für die Geschmacksknospen.
Immer mehr Tests und Versuche, was lockt die Menschen zu einem Lebensmittel X? Wenn diese Entwicklung immer weitergeht, dann haben wir irgendwann keine Produkte mehr, die auf unsere Gesundheit ausgerichtet sind, sondern nur noch darin optimiert sind, unseren Geschmack auszutricksen. Wenn man sich daran gewöhnt hat, schmeckt eben eine normale Erdbeere nach nichts mehr. Wenn alles verzuckert ist, ist die Erdbeere nicht süß. Erdbeeren sind süß, aber nicht, wenn wir es gewohnt sind, alles versüßt zu essen. Sicher, jeder kann mal Zucker essen wie die Oma ihn in den Kuchen getan hat. Es geht aber nicht, dass schon morgens dein Müsli total überzuckert ist und es den ganzen Tag so weitergeht. Das ist das Problem. Das ist diese Entwicklung der Industrialisierung unserer Ernährung.
Einerseits wurde uns viel Arbeit abgenommen und wir hatten Zeit für andere Dinge als zu kochen.  Andererseits wurde unsere Ernährung immer ungesünder.

Geben Sie bitte noch ein Beispiel.

Gern. Aber dazu muss ich einige grundlegende Dinge erklären.

Wir haben den Respekt vor dem Essen verloren

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Lebensfreude durch gesündere Ernährung? Bas Kast ist davon überzeugt.

Kein Problem.

In unserer Ernährung gibt es drei Stoffe, die uns Energie, also Kalorien liefern: Kohlehydrate, Fette und Proteine. Insbesondere die Kohlehydrate und Fette sind die Energielieferanten. Proteine dagegen – auch wenn sie Energieträger sind – werden hauptsächlich zum Körperaufbau benötigt – vom Muskelgewebe bis zum Immunsystem. Drastisch formuliert: Wer lange Zeit auf Proteine verzichtet, stirbt …

… verstanden.

Gut, denn jetzt kommt’s. Versuche mit Mormonengrillen zeigten: Sobald das Tier seinen Eigenbedarf an Proteinen gedeckt hatte, hörte es auf zu essen. Bei Kohlehydraten und Fetten war das weniger der Fall. Nun haben Studien bewiesen, dass dies auch bei uns Menschen zutrifft. Wir hören erst auf zu essen, wenn der Proteinbedarf gestillt ist. Ist unsere Nahrung also proteinverdünnt, essen wir so lange, bis unser Körper bekommt, was er will. Einfach gesagt: Wir überfressen uns und nehmen zu.

Was bedeutet das konkret?

Dass die Lebensmittelindustrie den Eiweißgehalt ihrer Produkte systematisch verdünnt. Nehmen wir den Lachs. Sowohl Zucht- als auch Wildlachs enthalten circa 20 Gramm Eiweiß auf 100 Gramm. Aber: Der Zuchtlachs ist weitaus fettiger und liefert damit im Verhältnis zu den Kalorien deutlich weniger Protein. Als Faustregel gilt: Sobald Sie zu einem verarbeiteten Lebensmittel greifen, können Sie mit einer Proteinverdünnung rechnen, die Produkte sind verfettet, verzuckert oder beides. Es kommt aber noch schlimmer…

… wieso? 

In den Supermarktregalen liegen zahlreiche industriell hergestellte „Nahrungsmittel“, die ich als „Proteinköder“ bezeichne. Sie riechen und schmecken nach Eiweiß, ohne dass sie in nennenswertem Maße Eiweiß liefern.

Auch hier bitte ein Beispiel.

Meine früher so geliebten Kartoffelchips. Besonders verhängnisvoll sind Barbecue-Chips. Das Fatale: Die versprechen unserem Geschmackssinn und unserem Gehirn hochkonzentriertes Fleischprotein, schieben aber fast ausschließlich Kohlehydrate und Fett in unser System.  Was passiert? Wir futtern und futtern, in der unbewussten Hoffnung, unser Eiweißverlangen zu befriedigen, bekommen jedoch lediglich eine homöopathisch verdünnte Proteinportion verabreicht. Also schlemmen wir immer weiter.

Und nehmen zu?

Genau. Also empfehle ich alle Proteinköder und alle Lebensmittel, die erfunden wurden, um unsere Instinkte auszutricksen, zu meiden wie der Teufel das Weihwasser.

Glauben Sie, dass man diese Uhr zurückdrehen kann?

 Wenn wir uns die weltweiten Übergewichts- und Diabetes-Tendenzen anschauen, wird das ein schwieriger Weg. Bei uns gibt es offenbar einen Trend, dass Leute sich dafür interessieren. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich die große Masse ist. Ich denke, es ist immer noch eine überschaubare Gruppe. Ich wäre gern optimistischer, aber ich bin nicht sicher, ob es genügend Anlass dafür gibt.

Aber ist da nicht auch die Politik gefordert?

Ja, vermutlich muss ein Umdenken in der Politik stattfinden. Es gibt Versuche, wie in Mexiko, wo Übergewicht ja wirklich extrem drastisch war. Die haben eine Zuckersteuer eingeführt. Ebenso in Chile. Das scheint einigermaßen zu funktionieren. Aber, der Staat hat auch nur begrenzte Möglichkeiten einzugreifen. Die Frage ist doch, wollen wir, dass der Staat sich auch da einmischt – mitbestimmt, was wir essen? Mein Ansatz ist, es über Aufklärung zu versuchen.

Gehen Sie an Schulen?

Nein, bisher wurde ich von niemandem eingeladen.

Sind Gesundheitskommissionen auf Sie aufmerksam geworden?

Nein, bisher nicht.

Da stimmt doch irgendwas nicht.

Da haben sie recht. Wenn ich in Krankenhäusern Diabetespatienten sehe, die verzuckertes Essen bekommen, nur weil dieser Lieferant das günstigste Angebot abgegeben hat. Um Ihre Frage vorwegzunehmen: Nein, es gab keine Einladungen in Kliniken oder zu den Betreibern.

Muss man nicht anfangen, Kindern mehr zu vermitteln?

Ja, als Erstes muss wieder in den Vordergrund gestellt werden, dass Nahrung auch wirklich wächst und nicht aus der Dose oder dem Tiefkühler kommt. Dass man es anpflanzen kann.

Das bedeutet, raus in die Natur. Tiere sehen und anfassen. Obst vom Baum pflücken oder einem Landwirt bei der Arbeit zusehen. Erfahrungen mit dem Echten sammeln und nicht nur Berge, Wiesen und Tiere durch die Werbebrille sehen. Eine Kuh ist braun- oder schwarzweiß gescheckt. Und nicht Lila.

Aber, was machen Sie, wenn Ihr Kind in die Schule kommt? Wie bauen Sie ungesunden Verlockungen vor?

Das ist schon jetzt sehr schwer. Mein Sohn weiß ganz genau, an der Kasse in unserem Markt gibt es Haribo-Säckchen. Da steuert er zielstrebig drauf zu.

Da ist auch unsere Nachbarin, der wir oft auf dem Weg zum Kindergarten begegnen. Immer wenn Sie den Kleinen sieht, kriegt er wieder was von ihr. Ehrlich, jeder Einzelne meint es gut, der Bäcker, ältere Leute, die Metzgersfrau, sie schenken ihm einen Lolli oder etwas anderes. Jeder meint es wirklich gut. Aber in der Massierung kämpfst du als Vater gegen eine Macht, die größer ist als du.

So eine Süßigkeit drückt ja auch Liebe aus. Mit einer Brokkolisuppe drückst du als Eltern keine Liebe aus. Das wissen Mutter und Vater – aber nicht das Kind. Eine Gratwanderung, die mir schon Sorgen bereitet.

Wir alle wissen das, ändern aber zu wenig. Brauchen wir Vorbilder?
Sicher. Es ist wichtig, dass gerade jungen Leuten vermittelt wird, gesunde Ernährung ist cool. Es gibt so viele junge Leute, die bei Youtube Furore machen und für die Kids Vorbilder sind. Oder Filmstars, oder Musiker. Wenn die an die Öffentlichkeit gehen und sagen:  „Hey, ich ernähre mich vernünftig, finde das cool und sehe auch noch gut aus“, dann, denke ich, bewegt das was.

Bleibt der Genuss da nicht auf der Strecke?

Genuss ist wichtig. Aber es ist ja vieles verloren gegangen. Wir können doch teilweise gar nicht mehr richtig genießen, weil unsere Geschmacksknospen total überfordert sind. Zum Genuss gehört aber auch, nicht von fünf Medikamenten abhängig zu sein. Oder keine Herzbeschwerden zu haben.

Oder Diabetes, das hängt ja auch unmittelbar mit der Ernährung zusammen. Wir haben sieben Millionen Diabetiker in Deutschland, das ist doch eine ernste Sache. Die häufigste Ursache für Amputationen in der wohlhabenden Welt ist Diabetes. Unvorstellbar wie viele Milliarden Euro gespart werden könnten, wenn sich alle Diabetiker gesund ernähren würden. Zu einem hohen Prozentsatz hängt Diabetes eng mit falscher Ernährung zusammen. Das ist sogar belegbar. Forscher von der Uni Newcastle haben Diabetiker auf eine radikale Diät gesetzt und 50 Prozent wurden geheilt. Keine Medikamente mehr. Aber, wie ich schon sagte, wenn selbst in Kliniken Diabetiker mit übersüßtem Essen verpflegt werden, dann läuft da was falsch…

Haben wir den Respekt vor natürlichen Lebensmitteln verloren?

Ja, ich denke schon. Am krassesten sieht man das letztlich beim Tier. Es gibt keinen Respekt mehr davor, dass man Fleisch isst, von einem Lebewesen. Wir fragen auch nicht, ob das Tier vielleicht leiden musste. Vielleicht sogar sehr. Wir blenden das Leid vollkommen aus. Im Grunde genommen wollen wir nicht wissen, woher unser Fleisch kommt. Wenn wir es wüssten, würden wir es nicht essen. Wenn wir das Leid der Massentierhaltung und die Schlachtung mit eigenen Augen sehen würden, wären die meisten Leute angeekelt und würden das nicht mehr essen.

Schlimm ist aber auch:  Statistisch gesehen werden im Jahr in Deutschland durchschnittlich 283.000 Rinder und 480.000 Schweine in den Müll geworfen. Also Fleisch, das nicht verwertet oder gegessen wurde.

Ja, ein krasses Beispiel. Wir erzeugen also nicht nur Leid, sondern es ist auch noch sinnloses und überflüssiges Leid. Das ist besonders absurd und unerträglich, wenn man anfängt, darüber nachzudenken.

Oder die Früchte, die am Straßenrand verrotten.

Stimmt. Traurig. Das hat mich zu der Einsicht gebracht: Alles, was im Überfluss vorhanden ist, nimmt den Menschen den Respekt vor der Schöpfung.

Das beginnt bei den Kindern: Sie nehmen lieber eine künstliche Haribo-Erdbeere oder -Birne anstatt echter Früchte. Warum? Weil die industriell gefertigten viel intensiver schmecken – wie uns die Werbung suggeriert. Das ist fatal und tragisch.

Vor noch gar nicht allzu langer Zeit gab es den Sonntagsbraten. Das war Vorfreude und Genuss pur. Heute ist es kein Problem, jeden Tag Fleisch zu konsumieren. So viel, wie du nur willst. Wo sollen da der Respekt und die Achtung vor der Schöpfung noch herkommen?

Die Bibel gibt viele Ernährungstipps

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Letztendlich führen Konsequenz und Durchhaltevermögen ans Ziel.

 

Viele sagen aber auch, Sie können sich gesundes Essen nicht leisten.

Das mag stimmen. Allerdings gibt es mittlerweile genügend Bioprodukte, die nicht nur gesund sind, sondern auch günstig.Mein Ansatz wäre: Fleisch und Fisch verteuern. Raus aus dieser Billigfalle aus Achtung und Respekt vor den Tieren. Außerdem käme das dann nicht jeden Tag auf den Tisch. Sicher, Hülsenfrüchte, Gemüse, Nüsse, manches Obst, wie zum Beispiel Blaubeeren sind teuer. Wenn ich aber an Fleisch, Wurst und Fisch spare, habe ich das schnell wieder drin.

Tendenziell würde ich sagen: Ärmere Regionen ernähren sich nicht schlechter. Es sind eigentlich die Wohlstandsnationen, die sich schlecht ernähren.

Was passiert mit uns, wenn wir uns auf gesunde Ernährung umstellen?

Bei mir stellte ich ganz schnell Veränderungen fest: keine Kopfschmerzen, kein Herzrasen mehr. Ich fühlte mich fit, konnte auch besser schlafen. Nicht zu vergessen, der neue Geschmack in meinem Mund. Ich erlebte oft wahre Geschmacksexplosionen.
Ich habe von vielen Freunden und Bekannten gehört, dass es ihnen genauso gegangen ist. Sie haben die Ernährung umgestellt und schon nach kurzer Zeit positive Veränderungen bemerkt.

In der Bibel gibt es viele Stellen, die sich mit dem Essen und gesunder Ernährung beschäftigen...

... ja, das ist sehr interessant, welche Gedanken sich schon unsere Vorfahren gemacht haben. Unendlich viele Ernährungsthemen finden sich in der Bibel wieder. Verzicht. Fasten. Einfache Ernährung. Auch Wertigkeit: Baue nur das an, was du selber brauchst und weitergeben kannst.

Ich erinnere mich, dass mir mal jemand vorgerechnet hat: Der Mensch hat 32 Zähne, davon vier Eckzähne. Das sind 12,5 Prozent. Wären wir Vegetarier, hätte uns Gott keine Eckzähne gegeben. Da wir vier besitzen, darf unser Fleischanteil bei der Ernährung 12,5 Prozent betragen.

Der Logik würde ich nicht zustimmen, das halte ich für eine sehr gewagte Hypothese. Aber das Endresultat trifft es sehr gut.

Was bedeutet Essen?

Essen ist ein ganz bewusster Akt, der ebenso wie Kochen, Zeit benötigt. Wir müssen uns wieder Zeit zum Essen nehmen. Ohne Handy, Fernsehen oder andere Ablenkungen. So entsteht auch ein Mehrwert für die Familie: Gemeinsam an einem Tisch sitzen, sich austauschen, Zeit füreinander haben.

Früher waren gemeinsames Frühstück, Mittagessen und Abendbrot selbstverständlich. Und am Sonntag gab es Kaffee und Kuchen.

Heute futtern viele rund – das passiert auch in Familien – um die Uhr.  Fastfood,  Süßigkeiten, nachts noch ein Fertiggericht in die Röhre geschoben. Natürlich wissen wir, dass gerade männliche Singles ungesünder leben als Familien.

Aber es betrifft eigentlich uns alle: Wir müssen den inneren Schweinehund bekämpfen und uns mehr auf das Wesentliche beim Essen und Kochen konzentrieren.

Ganz ehrlich: Meiner Frau und mir geht es oft ähnlich. Mit den Kindern kommt das Essen pünktlich auf den Tisch. Sind wir allein, lassen wir es schleifen. Nicht so gut.

Also gilt, egal ob Single oder nicht, entwickelt wieder eine Esskultur!

Absolut! Es gibt zwar keine Studien über unser Ess- und Kochverhalten, aber ich kann mir vorstellen, dass es ähnlich ist wie beim Joggen. Eine Studie hat nachgewiesen, dass eine Stunde joggen, sieben Stunden Lebenszeit zurückgibt. Das ist also im klassischen Sinne überhaupt keine Form von Zeitverschwendung.

Worauf sollten wir achten, wenn wir doch auf industrielle Nahrungsmittel zurückgreifen müssen?

Nicht mehr als fünf Zutaten. Keine Chemiezusätze. Darauf achten, an welcher Stelle der Zuckergehalt steht: Platz eins und zwei sind ganz schlecht.

Sie haben in Ihrem Buch 12 Regeln aufgestellt, durch die sich jeder hervorragend ernähren kann. Welches ist Ihre Wichtigste?

Ganz einfach, es sind zwei: Die Rückkehr zu richtigem Essen und nie etwas zu sich nehmen, was deine Ur- Großeltern nicht gegessen haben.

Letzte Frage. Glauben Sie, dass Ernährung die Welt friedlicher machen kann?

Eine Riesenfrage, die ich nicht beantworten kann. Aber, wenn ich es auf das Einfache herunterbreche, würde ich sagen: Was für meinen Körper gut ist, ist auch für den Planeten gut. Zum Beispiel ist es energieeffizienter, Korn gleich zu essen, anstatt es erst an die Tiere zu verfüttern und es dann als Fleisch auf den Tisch zu bringen. Dadurch wird die Welt sicher nicht friedlicher, aber ich habe für mich ja festgestellt, dass gesundes Essen mich glücklicher macht. Stellen Sie sich vor, so erginge es allen Menschen. Vielleicht könnte die Welt dann friedlicher werden... aber das ist nur eine Hoffnung, kein Wissen.

 

 

 

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Ein wirklich interessantes Buch mit vielen Informationen, deren Kenntnis unsere Lebensqualität verbessern kann.

Das Buch: Der Ernährungskompass

Was soll ich essen? Was kann ich noch essen? Wie finde ich mich in dem Diätenchaos zurecht? Welchem Ernährungstrend kann ich noch glauben? Wie manipuliert die Industrie unser Essen? All diesen Fragen ging Wissenschaftsjournalist Bas Kast nach, analysierte unzählige Statistiken und Studien aus der modernen Medizin, der Stoffwechsel- und der Altersforschung. In seinem flüssig und gut verständlich geschriebenen Buch „Der Ernährungskompass“, gibt Bas Kast einen genauen Überblick über alles, was gut und gesund für unseren Körper ist. Dabei entlarvt er die Tricks der Lebensmittel- und Diätindustrie. Lesenswert und äußert nachhaltig.

Bas Kast

Der Ernährungskompass
Bertelsmann Verlag

ISBN 978-3-570-10319-7

20 Euro; 29,90 CHF

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Das Kochbuch zum Ernährungskompass mit leckeren Rezepten.

Das Buch: Der Ernährungskompass – Das Kochbuch

111 Rezepte für gesunden Genuss. Bas Kast und die Rezeptentwicklerin Michaela Baur kreierten auf Grundlage der Erkenntnisse des Wissenschaftsredakteurs Leckeres und Gesundes für den Morgen, Mittag und Abend. Dazu viele Tipps und Informationen rund um Alternativen zum Fast Food und Industrieprodukten.

Der Ernährungskompass -
Das Kochbuch
Bertelsmann Verlag
ISBN: 978-3-570-10381-4

22 Euro; 25,90 CHF