Bischof Gerhard Feige

 

Auch Buße und Umkehr gehören zur Reformation

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Bischof Gerhard Feige stellte sich souverän auch den kritischen Fragen.

Dieses Gespräch wurde im Vorfeld des Lutherjahres in Magdeburg geführt und im Magazin der Steyler Missionare „Stadtgottes“ im Januar 2017 veröffentlicht.


2017 jährt sich zum 500. Mal die Veröffentlichung der 95 Thesen, die Martin Luther an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg geschlagen haben soll.

Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige sagt, warum das Jubiläum auch für die katholische Kirche eine Herausforderung ist.


Bischof Gerhard Feige wurde am 19. November 1951 in Halle an der Saale geboren. 1978 empfing er in Magdeburg seine Priesterweihe.

1999: Ernennung durch Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof und Titularbischof von Tisedi.

2005: Nachfolger von Leo Nowak als Diözesanbischof.

2012: Neuer Vorsitzender der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz.

2014: Papst Franziskus beruft ihn zum Mitglied des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.

Ein Bischof, der überkonfessionell und im besten Sinn christlich denkt.

Heute steht ein Denkmal Martin Luthers an der Kirche.

War Luther aus heutiger Sicht ein Ketzer oder Spalter?

In der Vergangenheit sind die Bewertungen Luthers sehr unterschiedlich gewesen. Von den einen wurde er verherrlicht, von den anderen verteufelt. In der katholischen Kirche galt er lange Zeit als Ketzer, in der evangelischen Kirche war er zeitweise sogar vergessen worden.

Im vergangenen Jahrhundert jedoch hat die Geschichtsforschung – auch die katholische – einen differenzierteren Zugang zu Luther bekommen. Dabei wurde auch deutlich, dass damals beide Seiten an den Auseinandersetzungen Schuld hatten und viele Ideen und Ansätze uns durchaus nahestehen. Deutlich wurde gleichfalls, wie stark Luther in katholischen Traditionen verwurzelt war. das zeigt sich in vielen seinen Äußerungen. Die bislang positivste von Lutheranern und Katholiken gemeinsam formulierte Deutung stammt von einer Kommission aus dem Jahre 1983. Diese bezeichnete ihn als Zeugen des Evangeliums, als Lehrer im Glauben und als Rufer zur geistlichen Erneuerung. Ich betone: Gemeinsam! Das ist eine gewaltige Entwicklung.

 Wo stehen wir heute?

 Ein weiteres Beispiel ist der Besuch von Papst Benedikt XVI. am 23. September 2011 in Erfurt. Damals hat der Papst hervorgehoben, dass es Martin Luther leidenschaftlich um die Beziehung zu Gott gegangen sei. Das habe sein ganzes Leben geprägt und müsste auch uns bewegen. Dieses Ringen um Gott, die Besinnung auf Jesus Christus und die befreiende Botschaft des Evangeliums sollten beim Reformationsgedenken im Mittelpunkt stehen. Dann hätten auch katholische Christen einen einsichtigen Grund, dieses Ereignis mitzufeiern.

 Was bedeutet das für das Reformationsjubiläum 2017?

 2013 hat die internationale Lutherisch/Römisch-katholische Kommission für die Einheit, die vom Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen und vom Lutherischen Weltbund eingesetzt wurde, ein Dokument mit dem Titel „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem, dass es neben der Freude über die Wiederentdeckung des Evangeliums und die Verlebendigung des Glaubens auch Anlass zur Trauer über die tragischen Folgen der damaligen Auseinandersetzungen gibt. Wenn Katholiken auf die Reformation zurückschauen, denken sie meistens zuerst an die Kirchenspaltung – mit Schuld-Anteilen auf beiden Seiten. Deshalb hat man zunächst auf die Einladung, dieses Jubiläum mitzubegehen, verhalten reagiert. Inzwischen ist aber beiden Seiten klar, dass es gemeinsame Zugänge gibt und für alle Christen sowohl Dank und Freude als auch Buße und Umkehr dazugehören.

 Werden sich die Kirchen noch weiter annähern?

 Das ist schwer zu sagen. Mit der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre ist 1999 zum Beispiel ein wichtiger Durchbruch erfolgt. das bedeutet: In der zentralen Frage, um die es in der Reformationszeit ging, besteht heute eine große Übereinstimmung. Die noch verbleibenden Unterschiede können als. nicht mehr trennend angesehen werden.

 Ist die evangelische Kirche moderner?

 Manche vertreten diese Meinung. Gegenwärtige Vorstellungen und Tendenzen werden dann sehr kurzschlüssig auf die Reformation zurückgeführt. Demgegenüber wage ich zu behaupten, dass sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche nicht rückwärtsgewandt sind, sondern versuchen, sich mutig und verantwortungsvoll den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen.

 „Wir können die Trennung nicht rückgängig machen, aber wir können aus Fehlern lernen.“ Das haben Sie 2015 beim Reformationstag in Torgau gesagt. Was können wir lernen?

 Differenzierter miteinander umzugehen. Richtig aufeinander zu hören. Die Argumente zu bedenken und – mit Herz und Verstand – um gemeinsame Lösungen zu ringen.

 Wie erreichen die Kirchen es, dass auch nach 2017 die Annäherung weitergeht, das gegenseitige Verständnis größer wird und damit auch der Schuldgedanke eine geringere Rolle spielt?

 Eine wichtige Voraussetzung dazu ist der sogenannte „healing of memories“-Prozess. Dabei geht es um die Aufarbeitung der Vergangenheit, die Reinigung des Gedächtnisses beziehungsweise die Heilung der Erinnerungen. Die Idee entstand vor einigen Jahren. Man wollte sich vor dem Gedenkjahr noch einmal gemeinsam der Geschichte stellen, die durch die Reformation ausgelöst wurde. Als 2008 nämlich die Lutherdekade begann, wurde schnell deutlich, dass die evangelische Seite sehr freudig auf das Reformationsjubiläum zuging, wir Katholiken hingegen eher die Entfremdung und Spaltung der abendländischen Kirche vor Augen hatten. Inzwischen ist beiderseits die Sensibilisierung dafür gewachsen, dass Martin Luther viel Positives in Bewegung gebracht hat, grundsätzliche Klärungen und Reformen, dass in den darauffolgenden Auseinandersetzungen aber auch viel Unheil geschehen ist. Der 30-jährige Krieg macht das am deutlichsten; und viele Klischees, Vorurteile und Spannungen gibt es bis heute. Sich dem bewusst zu stellen, es geistlich zu bedenken, Gott und einander um Vergebung zu bitten, halte ich für einen wesentlichen Schritt in Vorbereitung auf die kommenden Feiern hin. In Sachsen-Anhalt sind wir im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen bereits im November 2015 in Wittenberg einen Pilgerweg der Versöhnung gegangen. Das war ein sehr bewegendes Erlebnis.

 Wird es Ausstellungen, Symposien etc. geben, wo auch Otto Normalverbraucher etwas von der Reformation erfährt?

 Inzwischen ist die Fülle von schon abgehaltenen oder geplanten Veranstaltungen nicht mehr zu überschauen, zentral wie regional oder kommunal. Dabei sind viele und unterschiedliche Interessen im Spiel.

Was mir in diesem Zusammenhang wichtig erscheint, ist, noch einmal darauf hinzuweisen, dass alle früheren Jahrhundertjubiläen dieser Art antikatholisch ausgerichtet und von nationalen Interessen bestimmt waren. Diesmal aber gehören zu den wesentlichen Rahmenbedingungen die zunehmende Globalisierung, der sich ausbreitende Säkularismus und die ökumenische Bewegung, die uns Christen schon seit Jahrzehnten einander nähergebracht hat. Das aber fordert dazu heraus, das 500. Reformationsgedenken diesmal anders zu begehen. Natürlich bleibt es in evangelischer Hand. Zugleich gibt es aber auch einige wichtige Veranstaltungen oder Aktionen, die ökumenisch verantwortet und getragen werden.

 Romano Guardini hat gesagt: Man kann auf Dauer jein guter Christ sein – sowenig man leben kann, ohne zu atmen. Und in seinem Buch „Der Herr“ weist er nach, dass Jesus für alle – religionsübergreifend – da ist. Wenn es auf diese beiden Fragen heruntergebrochen wird, brauchen wir dann überhaupt eine Ökumene?

 Ökumene ist der Versuch, mit der Spaltung der Christenheit und ihren komplexen wie komplizierten Folgen im Geiste Jesu Christi verantwortungsbewusst umzugehen und eine größere Einheit anzustreben. Das ist nicht einfach. Wie auch sonst in Gesellschaft und Politik bedarf es dazu mannigfaltiger Anstrengungen und eines langen Atems. Ich bin jedoch dankbar und froh, dass sich in den letzten Jahrzehnten das Verhältnis zwischen den verschiedenen Kirchen und Christen enorm verbessert hat, und hoffe, dass diese Entwicklung auch nach 2017 weitergeht.

 Ist Ökumene endlich?

 Sie endet mindestens beim Jüngsten Gericht, vielleicht auch schon früher. Noch kurz vor dem Herbst 1989 hatte auch niemand gedacht, dass die DDR auf einmal, wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Und so könnte es eines Tages durchaus sein, dass die Quantitäten so herangewachsen sind, dass der Geist Gottes plötzlich alles in eine andere Qualität umschlagen lässt.

 Hoffnung oder Wunsch?

 Im menschlichen Bereich. wenn ich diesen betrachte, habe ich jedoch meine Zweifel.

 Wäre eine Kirchenspaltung heute überhaupt noch denkbar?

 Selbstverständlich, auch innerhalb der katholischen Kirche. In manchen Konfessionen sind die Spaltungen so stark, dass man kaum noch von einer wirklichen Einheit sprechen kann. Zweifellos ist es da möglich, dass es zu Abspaltungen kommt.

 Was wünschen Sie sich ganz persönlich vom Reformationsjahr?

 Ich wünsche mir, dass das Evangelium dadurch wieder mehr Menschen erreicht und im Herzen bewegt.

 Die Kirchen verlieren an Mitgliedern. Glauben Sie, dies kann durch ein Reformationsgedenken gestoppt werden?

 Solchen strategischen Überlegungen folge ich nicht. Ich sage vielmehr: Wenn wir davon überzeugt sind, dass Gott uns berufen und gesandt hat, ist es unsere Aufgabe, daraus etwas zu machen und im Geiste des Evangeliums zu leben. Ob wir Erfolg dabei haben oder nicht, das wird sich zeigen. In unserem Bistum verstehen wir katholischen Christen uns als eine schöpferische Minderheit, die in ökumenischem Geist mit anderen Partnern in der Gesellschaft zusammenarbeitet und auf diese Weise versucht, das Evangelium glaubhaft zu leben und zu verkünden. Dabei legen wir es nicht bewusst auf eine Rekrutierung von Katholiken an. Entscheidend ist für uns vielmehr, dass der Geist des Evangeliums auch andere Menschen erfasst und ihr Leben prägt.