Kezhia-Prozess: Gutachter verärgert Richter

 

DNA-Analysen „zu oberflächlich und missverständlich“ – Heute wird B.s Psychologe gehört

 

 

Der elfte Prozesstag im Mordfall Kezhia H. fand am 14. Dezember 2023 im Stendaler Gericht statt. Der Bericht darüber wurde am Freitag, 15. Dezember 2023 in der Altmark Zeitung in den Ausgaben für den Altmarkkreis Salzwedel und den Landkreis Stendal in den Lokalteilen unter den Titeln: DNA-Analysen im Kezhia-Fall und Gutachter ordnet Blut- und Spermaspuren zu. Der zwölfte Prozesstag am 15.12.2023 fand auf Antrag der Verteidigung unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Tino B. steigt aus dem Gefangenentransporter© T.Pfundtner

Klötze/Stendal – Nur ein Zeuge wurde gestern vor der 2. Strafkammer am Landgericht Stendal im Mord-Prozess gegen den Angeklagten Tino B.  gehört: Der Diplombiologe Enrico L. vom Landeskriminalamt. Er wurde vorgezogen, da eine weitere Zeugin krankheitsbedingt nicht vor Gericht erscheinen konnte.

Der Biologe hatte den Auftrag erhalten, Spuren, die die Polizei im VW-Crafter des geständigen Elektrikers sichergestellt hatte, auf genetische „Fingerabdrücke“ zu untersuchen. L. sollte herausfinden, welche Spuren Tino B. oder seinem Opfer Kezhia H. zugeordnet werden können.

Der Angeklagte hatte seine langjährige jüngere Freundin am 4. März in seinem Dienstfahrzeug mit 32 Messerstichen getötet und später die Tat vor Gericht zugegeben.

In diesem Verhandlungssaal wird der Prozess gegen Tino B. geführt© T.Pfundtner

Insgesamt erstellte L. vier Gutachten – am 11. April, 18. Juli, 24. August und 17. September.

So untersuchte er zum Beispiel Spuren, die an einer Einstiegsschiene, dem Stofftier von Kezhia, einer Holzplatte, einer Decke, der Arbeitskleidung, einem Hydraulik-Bagger, einem Anhänger oder in der Wohnung von Tino B. und an den sterblichen Überresten des Opfers, gefunden wurden.

Zum DNA-Vergleich standen dem Gutachter die DNA von Kezhias Mutter sowie die von Tino B. zur Verfügung.

Aus einer großen Kiste mit mehreren Aktenordnern erläuterte Enrico L. dann seine Gutachten. Bei einigen Spuren – zum Beispiel Blut – konnte Enrico L. zweifelsfrei nachweisen, dass die DNA von Kezhia H. stammte. Auch das zur Untersuchung überlassene Sperma „stamme vom Tatverdächtigen". Dann wieder legte der Experte Ergebnisse vor, bei denen eine Zuordnung zu Kezhia H. oder Tino B. nicht ausgeschlossen werden konnte. Auch berichtete er von Ergebnissen, die anhand von Wahrscheinlichkeitsrechnungen auf die junge Frau oder Tino B. hinwiesen.  Hierbei erwähnte er auch, dass aus bestimmten Merkmalen in einer Spur die Zuordnung nicht möglich gewesen war. Aus anderen Fixpunkten aber schon, sodass er nicht ausschließen könne, dass die DNA vom Täter oder Opfer stammen könne.

Weiterhin schilderte Enrico L., dass er eine DNA gefunden habe, die er einer unbekannten Frau zuordne. Es sei auch viel Genmaterial gefunden worden, das überhaupt nicht zugeordnet wurde: „Das haben wir in die Kontaminierungsdatei eingegeben. In ihr werden Polizisten und Kriminalbeamte erfasst, die an den unzähligen Tatorten ihrer Arbeit nachgehen. Dadurch konnten einige Proben zugewiesen werden."

Nach dem langen Vortrag wollte Richter Ulrich Galler wissen, wie hoch die Werte innerhalb der Untersuchungen sind, um deutlich zu machen, dass diese tatsächlich vom Täter oder Opfer stammen. Wahrscheinlichkeiten, Annahmen oder etwas nicht ausschließen können, reiche nicht aus.

Außerdem wolle das Gericht genau wissen, warum eine Spur verwertbar sei oder nicht.

Es reiche nicht, dass dort einfach nur „Kein Ergebnis“ stehen würde.

Gutachter muss genauere und verlässliche Daten liefern

Vieles erschien der Kammer und den Schöffen, die die Gutachten ja vorher nicht kannten, völlig unverständlich. Zwar versuchte der Gutachter zu erklären, warum er bestimmte Begriffe verwenden würde oder „das andere Spuren ja gezeigt hätten, dass Tino B. in dem Wagen gewesen sei“. Er erzählte auch von einem Fall, in dem ein in Rente gegangener Sachverständiger in seinem Gutachten andere Zahlen errechnet habe. L. musste dann ein weiteres Gutachten anfertigen, das andere Zahlen aufwies. „Da muss man dem Gutachter schon mal glauben“, sagte er, es sei oft der Fall, dass Sachverständige Dinge verschieden bewerten.

Nun wurde L. explizit darauf hingewiesen, dass er erklären müsse, warum zum Beispiel etwas nicht auszuschließen sei. „Wir müssen das im Urteil begründen und erklären.“

Als L. auf eine seiner Aussagen verwiesen wurde, antwortete er laut und deutlich „Das ist nicht wahr.“ „Das verbitte ich mir, dass etwas nicht wahr ist“, antwortete ein sichtlich erregter Ulrich Galler dem Gutachter. Und fuhr fort: „Sie haben uns zu helfen!“ Es könne von einem Gutachter verlangt werden, dass er seine Expertisen so unterfüttere und erkläre, dass es für alle Prozessbeteiligten zu verstehen sei und Zweifel ausgeschlossen werden können. In dieselbe Kerbe schlugen dann auch Holger Stahlknecht, Rechtsbeistand der Mutter von Kezhia, die als Nebenklägerin auftritt, sowie die Verteidigung.

Auch sie hatten Fragen zu Spuren, den Ausschlusskriterien, Berechnungen und vielem mehr.

Nun muss Enrico L. erneut vernommen werden und alle von den Prozessbeteiligten geforderten Sachverhalte in das Gutachten überführen.

Da Enrico L. nicht wusste, ob er dazu bereits bis nächste Woche alle Auskünfte von den Fachbereichen erhalten würde, beschloss Richter Ulrich Galler, L. erst am 5. Januar 2024 zu vernehmen.

Damit war L. entlassen und das Gericht konnte über einen Antrag der Verteidigung von Tino B. entscheiden: Heute wird vor Gericht der Psychologe gehört, der Tino B. nach seinem ersten Gefängnisaufenthalt, bei dem er sexuell missbraucht worden sein soll, therapierte. Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob B. damals traumatisiert wurde.

Darüber wird die Öffentlichkeit aber nichts erfahren. Denn die Verteidigerinnen von Tino B. forderten den Ausschluss der Öffentlichkeit. Dem folgte das Gericht.