Claudia Tost
Die Stendaler Puppenspielerin über die Arbeit mit Kindern in der Corona-Zeit und die Frage, was noch normal ist.
Anfang Januar 2022 führte ich dieses Interview mit Claudia Tost, Schauspielerin am Theater der Altmark in Stendal. Am 9. Januar 2022 wurde es in der Volksstimme veröffentlicht. Obwohl das Gespräch schon einige Monate alt ist, die Themen sind noch aktuell und die Gedanken allemal überdenkenswert.
Die Puppen- und Schauspielerin Claudia Tost (45) erblickte in Cottbus das Licht der Welt, wuchs aber in der Nähe von Berlin auf. Während eines Austausch-Stipendiums sammelte sie erste Theatererfahrungen an der High-School.
Nach einem Kultur- und Theaterwissenschaften-Studium wechselte sie an die Schauspielschule „Ernst Busch“, dort studierte sie Puppenspiel. Nach dem Ab-schluss wechselte sie an das Puppentheater Magdeburg und hatte danach verschiedene Gast-Engagements an anderen Bühnen. 2013 kam Claudia Tost als Schauspielerin, Puppenspielerin und Theaterpädagogin ans Theater der Altmark und wurde in der Spielzeit 2017/2018 mit einem Sonderpreis des Theaterfördervereins ausgezeichnet. Im Januar ist Claudia Tost unter anderem in dem Stück „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ (Premiere ist am 22. Januar 2022 im Uppstall-Kaufhaus) zu sehen.
Außer beim Tanz mit ihrer Puppe, nimmt Claudia Tost nicht viel auf die leichte Schulter.
Frau Tost, worüber haben Sie sich im abgelaufenen Jahr am meisten gefreut?
Claudia Tost: Tatsächlich über die Jahreszahl. Ich liebe die 21 und so konnte sie mich das ganze Jahr begleiten. Ja, das hat aber auch noch einen anderen Hintergrund …
…Sie machen mich neugierig…
Nun, es gibt die „21 Lobpreisungen der Tara“ aus dem elften Jahrhundert. Das sind hoch-interessante poetische und gleichzeitig philosophische Texte, sehr beeindruckend. Die Beschäftigung mit ihnen ist spannend und herausfordernd. Wenn ich noch studieren würde, würde ich meine Abschlussarbeit darüber schreiben.
Gab es noch etwas Besonderes für Sie im Jahr 2021?
Ich habe durch Corona das Tanzen wieder für mich entdeckt und dann auch einige Workshops genommen, in denen ich meine Erfahrungen erweitern konnte. Das hat einfach Spaß gebracht.
Tanzen ist ein Lebenselixier, sicher nicht nur für Schauspielerinnen und Schauspieler.
Haben Sie auch Enttäuschungen erlebt?
Das kann ich nicht direkt sagen. Ich versuche zu entdecken, was ist, oder Enttäuschung auch als positiv zu sehen. Aber, es war natürlich ein schwieriges Jahr.
Inwiefern?
Nun, ich arbeite ja auch als Theaterpädagogin und dabei sehr viel mit Kindern und Jugendlichen zusammen. Das Problem waren die ständigen Absagen und Treffverbote. Gerade, wenn ich die Arbeit mit den jungen Menschen wieder begonnen hatte, und es anfing richtig Spaß zu bringen, wurde der Kurs unterbrochen. Wegen Corona. Das hat mir für die Mädchen und Jungen extrem leid getan. Die Kinder haben immer wieder neue Energie aufgebracht und wurden dann doch enttäuscht. Für mich war es hart, dafür mitverantwortlich zu sein und den Zustand nicht verändern zu können.
Gab es denn etwas, was Sie sich 2021 gern gewünscht hätten?
Ja, eine andere Form der Kommunikation. Ich glaube, bei der Diskussion um Corona gibt es viele Sichtweisen und Meinungen, die teilweise so kontrovers diskutiert werden, dass ein Miteinander ausgeschlossen scheint. Deshalb möchte ich es als Wunsch formulieren, dass wir fähig werden, wirklich miteinander zu sprechen. Jeder hat das Recht auf seine eigene Perspektive, so wie jeder erwarten kann, dass ihm zugehört wird. Diesen Respekt zu bewahren, ist schwer – dennoch finde ich es sehr wichtig.
Wie kriegen wir das für 2022 hin?
Ich glaube, viele Menschen haben in dieser Zeit ganz viele Fragen, die nur unzureichend beantwortet werden. Nicht nur bei Corona. Auch ich trage viele Fragezeichen mit mir herum.
Wird nach Corona alles wie früher? Gibt es wieder Normalität?
Wahrscheinlich beginnt nach der Pandemie wieder ein Verdrängungsprozess und wir kehren zum alten Trott zurück.
Viele Urlaubsreisen mit dem Flugzeug, Konsum, Gleichgültigkeit und Desinteresse?
Ich will ehrlich sein: Mir geht es oft ja nicht anders und ich lasse den inneren Schweinehund gewinnen. Aber eigentlich könnten wir uns genau dagegen wehren und viel mehr das Gespräch mit dem anderen suchen und führen. Wir könnten mehr Lücken im allgemeinen Trott zulassen und in diesen Nischen dann halt auch zu mehr Kommunikation bereit sein. Lassen Sie mich bitte etwas philosophisch werden …
Gern.
Ich glaube, dass es die sogenannte Normalität eigentlich überhaupt nicht gibt. Wer sich die Kulturgeschichte des Menschen ansieht, stellt doch schnell fest, dass da nichts Normales ist. So wie wir heute leben, ist es doch total crazy, aber nicht normal. Allein, was wir mittlerweile alles besitzen. Das ist nicht normal – wenn wir das mit dem Alltag von vor hundert Jahren vergleichen. Ja, für uns ist es das und es sind ja auch viele tolle Errungenschaften, zum Beispiel in der Medizin, Technik usw. dabei. Aber, dass wir wissen, was normal ist oder, dass das alles normal ist, wage ich zu bezweifeln. – Vielleicht braucht es mehr Mut, Fragen zuzulassen und nicht sofort eine Antwort auf alles zu haben.
Wie war denn für Sie das Theaterjahr?
Da schlagen natürlich zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits war es nicht schön, wenn alles runtergefahren wurde. Andererseits hat es mir persönlich auch sehr gut getan, mal ganz andere Wege zu gehen. Nach den vielen intensiven Jahren mit Bühnenpräsenz, Workshops, Proben, dem Schreiben von Stücken und Texten, war die Zwangspause für mich auch ein Stück Neu-Inspiration. Aber, es war auch eine Riesenumstellung, denn die tägliche Arbeit und der Kick einer Aufführung fehlten. Das habe ich aber erst so richtig gemerkt, als ich wieder anfing zu spielen.
Haben Sie aus der Pandemie etwas gelernt, was Sie ins neue Jahr mitnehmen?
Ich hoffe doch. Zum Beispiel ist mir bewusst geworden, wie wichtig das eigene Denken ist und wie schnell wir es verlernen können, wenn wir immer nur auf andere hören oder uns vom Gewohnten einlullen lassen. Ich möchte wieder unbequemer für mich sein. Das Gewohnte neu zu entdecken, ist und bleibt ein großes Abenteuer.
Was haben Sie 2022 nach Mitternacht als Allererstes gemacht?
Ein Feuerwerk gesehen. Das war großartig! Danke an alle, die den Leuchtregen in den Himmel geschossen haben. Wenn das Jahr so gut wird, wie dieses Feuerwerk, gibt es nichts zu befürchten.
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