Interview mit Oscar Seifert
Perspektivwechsel im Monolog
FRAGEN & ANTWORTEN Oscar Seyfert spielt am TdA einen Kindermörder
Oscar Seyfarth kam von der Schauspielschule direkt für einige Monate ans TdA und spielte sich als Lillebror in die Herzen der Zuschauer. Jetzt fordert er das Publikum mit „Bartsch, Kindermörder“ heraus.©T. Pfundtner
In der Altmark Zeitung in der Ausgabe für den Landkreis Stendal im Lokalteil erschien am 2. Januar 2024 der Artikel „Perspektivwechsel im Monolog“ –
FRAGEN & ANTWORTEN : Oscar Seyfert spielt am TdA einen Kindermörder.
Oscar Seyfert,TdA© T.Pfundtner
Stendal – Als Lillebror in „Karlsson vom Dach“ begeisterte er Jung und Alt. Jetzt wagt er sich an einen Monolog, der versucht, einen schlimmen Kindesmörder erklärlich zu machen. Eine Riesenherausforderung für den 22-jährigen Oscar Seyfert aus Schkeuditz. Tatsächlich scheint Seyfert zu der neuen Schauspielergarde zu gehören, die so viel schauspielerisches Talent besitzen, dass mangelnde Erfahrung einfach weggespielt wird. So passt er hervorragend in das junge Ensemble des TdA. Deshalb wäre es eine Bereicherung für Theater und Publikum, wenn sein Vertrag, der im Frühjahr ausläuft, schnellstmöglich verlängert wird.
Im Gespräch mit der AZ spricht Oscar Seyferth über seine Zeit in Stendal, die Rolle des Kindermörders und seine eigenen Pläne.
Vom Kinderdarsteller zum Kindermörder – ein Riesenschritt?
Ja. Und eine große Herausforderung. Es ist der Versuch, die Beweggründe eines Kindermörders zu beleuchten, ohne sie zu entschuldigen. Es gibt aber noch einen anderen Grund…
Welchen?
Die Rolle gibt mir die Chance, mehr das Handwerkliche meines Berufs zu lernen. Dabei ist mir unsere Oberspielleiterin Patricia Hachtel, die ja auch Schauspielerin ist, eine große Hilfe: Raumerfassung, Sprache, Bewegung, Atmung – jede Probe bringt Neues für mich. Wenn ich mir diese Möglichkeit entgehen lassen würde, wäre ich wahrscheinlich im falschen Beruf.
Jürgen Bartsch ermordete zwischen 1962 und 1966 vier Jungen zwischen acht und 13 Jahren, erlangte als „Kirmesmörder“ und „Bestie von Langenberg“ eine mehr als zweifelhafte Berühmtheit. Sie sind 22. Was wissen Sie über den Fall, der in der BRD für riesiges Aufsehen sorgte, in der ehemaligen DDR aber kaum bekannt ist?
Ich muss etwas ausholen: Das TdA hat mir die Möglichkeit gegeben, mit einem „Monolog-Stück“ auf die Bühne zu gehen. Als ich den Text von Autor Oliver Reese über Bartsch gelesen hatte, war ich fasziniert von der Sprache und der Ernsthaftigkeit. Wahre Geschichten sind immer interessant. Es geht dabei aber nicht darum, eine Entschuldigung für Jürgen Bartsch zu finden, sondern um die Frage, ob es möglich sein kann, für einen Mörder wie ihn, so etwas wie Empathie zu erwecken. Das hat mich fasziniert. Und es gibt Fragen nach dem „Warum“ oder „Woher Schuld kommt“. Als feststand, dass wir „Bartsch, Kindermörder“ auf die Bühne bringen, habe ich mir eine Dokumentation über ihn angesehen und im Internet über ihn recherchiert. Es gibt unendlich viel Hintergrundmaterial, das nicht zu bewältigen ist. Für mich war und ist es wichtig, meinen individuellen Ansatz für den Monolog zu finden.
Der wäre?
Die Taten liegen über 60 Jahre zurück. Damals gab es nicht das Wissen und die medizinischen Erkenntnisse, über die wir heute verfügen. Die Frage ist also, wie die Vergangenheit in die Gegenwart transportiert werden kann und ob dies überhaupt möglich ist.
Rolle und Realität – können Sie das trennen?
Für mich ist die Bühne ein in sich geschlossener Raum. Wenn ich über die Schwelle gleite, existieren meine reale Welt und mein moralischer Kompass nicht mehr. Ich spiele die mir übertragene Person. Das klingt sicherlich einfacher, als es ist. Denn nach der Vorstellung, möchte ich ja wieder in mein Leben zurückkehren.
Gelingt das?
Meistens. Bei einer Rolle wie Lillebror in „Karlsson vom Dach“ ist das sicherlich einfacher als bei dem neuen Stück. Hier ist es garantiert schwerer, Abstand zu gewinnen. Ich denke aber, die Rolle „abzuduschen“ oder beim Kraftsport abzuarbeiten wird mir helfen.
Vorerst sind zwei Vorstellungen geplant – am 4. Januar und am 13. April …
… das ist richtig. Es wäre schön, wenn weitere Vorstellungen folgen und das Publikum den Stoff annimmt. So abschreckend das Thema am Anfang klingt, finde ich dennoch, es ist es wert, sich damit auseinanderzusetzen. Auch wenn es nicht ganz einfach ist.
Was sagen Sie Theaterfreunden, warum sie die Vorstellungen von „Bartsch, Kindermörder“ besuchen sollten?
Trotz der ganzen schrecklichen Hintergründe ist es ein sehr empathischer Monolog, der versucht, eine Perspektive in die Gedankenwelt eines Mörders zu zeigen. Verständnis für ihn? Nein. Auseinandersetzung mit ihm? Ja.
Noch einmal: Es geht keinesfalls darum, die Schuld von Jürgen Bartsch, das Leid der Eltern und das Unbegreifliche der Taten zu verniedlichen, sondern um Reflektion über das Grauen.
Ihr Vertrag läuft aus. Wie geht es mit Ihnen weiter?
Ab April werde ich viele Bewerbungen schreiben. Ich lebe in Berlin und hoffe, dort von einem Theater angenommen zu werden. Aber…
…ja…
… auch Stendal wäre schön. Das angenehme Ensemble. Das tolle Theater. Das Publikum. Die Stadt. Hier passt einfach alles. Eine bessere Plattform für einen Start ins Berufsleben hätte ich nicht haben können …
Weitere Infos und Karten gibt es unter: www.tda-stendal.de
Der Fall Jürgen Bartsch
Er überredete vier Jungen, ihn in einen ehemaligen Luftschutzbunker zu begleiten. Dort zwang er sie, sich zu entkleiden, und missbrauchte die wehrlosen Kinder. Danach tötete er seine Opfer und verscharrte sie in dem Bunker.
Der Mann, der diese – bis heute unvorstellbaren – Taten beging, hieß eigentlich Karl-Heinz Sadrozinski, geboren am 6. November in Essen, wurde aber unter seinem Adoptivnamen Jürgen Bartsch bekannt.
Über Jahre wurde er von Heim zu Heim gereicht, bevor er von dem wohlhabenden Fleischer Gerhard Bartsch und seiner Frau Gertrud adoptiert wurde. Allerdings durchlitt der spätere Kindesmörder auch hier eine Hölle: Bis zum Schulanfang wurde er von den neuen Eltern total isoliert, von anderen Kindern isoliert und in einem Keller bei Kunstlicht eingesperrt. Der Grund: Seine Adoptiveltern hatten Angst, das Kind würde „draußen“ erfahren, dass es nicht ihr leibliches Kind sei. Später landete Bartsch in strengen Internaten, wurde dort sexuell missbraucht. In dieser Zeit entdeckte Bartsch, dass er sich sexuell zu Jungen hingezogen fühlte. Seit 1961 wusste auch die Polizei von seinen pädophilen Neigungen, nachdem er einen Knaben sexuell attackiert und gequält hatte.
Dann wurde er zum vierfachen Mörder. Nach seiner Verhaftung begann am 27. November 1967 der Prozess gegen ihn. Er wurde zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Der Prozess fand in einer höchst emotionalen Atmosphäre statt, da die Öffentlichkeit lautstark nach der Todesstrafe für die „Bestie von Langenberg“ rief. Und im DDR-Fernsehen wurde Jürgen Bartsch als böses Gewächs des Kapitalismus bezeichnet, das es so im Sozialismus nicht geben könne.
Nach einem Revisionsverfahren wurde Bartsch am 6. April 1971 zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Um einem lebenslangen Aufenthalt in der Psychiatrie zu entgehen, erklärte sich Jürgen Bartsch 1976 bereit, sich kastrieren zu lassen. Dabei wurde offensichtlich das Narkosemittel überdosiert – der vierfache Kindesmörder starb auf dem OP-Tisch. Der verantwortliche Pfleger, der für die Narkose zuständig war, wurde später wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
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