Publikum bleibt draußen 

Gerichte können Öffentlichkeit ausschließen

 

 

 

Am Mittwoch, 08. Mai 2024, erschien in der  Altmark Zeitung  in der Ausgabe für den Landkreis Stendal im Lokalteil Stendal unter der Überschrift: „Publikum bleibt draußen – Gerichte können Öffentlichkeit ausschließen“  ein Einblick in die rechtlichen Bestimmungen, die für Gerichtsverhandlungen gelten. So sind Gerichtsverhandlungen generell für die Öffentlichkeit zugänglich. Unter bestimmten Voraussetzungen können Zuschauer jedoch nach § 171 GVG ausgeschlossen werden.

Stendal – Vor wenigen Wochen stand im Landgericht Stendal ein Mann aus einem Ortsteil von Bismark wegen des Verdachts auf schweren sexuellen Missbrauch an kleinen Kindern vor Gericht. Doch bereits kurz nach Eröffnung der Hauptverhandlung wurde die Öffentlichkeit per Beschluss ausgeschlossen. Besucher mussten den Saal verlassen.  Warum?

In Deutschland sind grundsätzlich alle Verfahren öffentlich. So soll sichergestellt werden, dass eine Kontrolle des Prozesses und des Urteils durch die Bürger möglich ist. Eine „Geheimjustiz“ soll vermieden werden.

Dennoch gibt es einige Verfahrensarten, die grundsätzlich nicht öffentlich sind.

So finden Verhandlungen gegen jugendliche Straftäter ohne Zuschauer statt. Das gilt bis auf wenige Ausnahmen auch für Familiensachen.

Ferner gibt es in §171 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) zahlreiche Bestimmungen, die zum Ausschluss führen können.

Wenn zum Beispiel Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde, kann ausgeschlossen werden.

Bei Sexualstraftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, gegen das Leben oder Misshandlungen von Schutzbefohlenen soll ausgeschlossen werden, wenn Zeugen oder Betroffene unter 18 Jahren sind.

Sind die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt, muss ein entsprechender Antrag gestellt werden. Meist zieht sich dann das Gericht zur Beratung zurück und fasst den entsprechenden Beschluss.

Aber, es sind nicht nur Jugendliche oder Opfer, die durch den Paragrafen 171 geschützt werden. Demnach sind Verhandlungen ohne Publikum möglich, wenn der Angeklagte beispielsweise wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung, sexuellem Missbrauch von Kindern oder anderer Sexualstraftaten ein Geständnis ablegen möchte. Tatsächlich ist – wie die Praxis täglich aufs Neue beweist – dieser Ausschluss für den Angeklagten fast immer die Voraussetzung für ein Geständnis. Hauptgrund: Die Angst davor, dass er sich geniert oder es ihm peinlich ist, Details seines Privatlebens, gerade aus dem Bereich seines Sexuallebens vor Journalisten, Familienangehörigen oder Kollegen preiszugeben. Nun wird die Verhandlung nicht nur ohne Publikum geführt, sondern schlimme Details werden nicht bekannt und der Täter kann mit einer Strafmilderung rechnen.

Sobald der Ausschluss beschlossen ist, gilt dies bis zum Tag des Urteils, das sich jeder anhören kann. Allerdings verkürzt sich die Verhandlung durch ein Geständnis oft um mehrere Prozesstage. Wann dann das Urteil fällt, wird meistens nicht bekanntgegeben, sodass Tat und Täter in der Anonymität verschwinden.

Interessant: Es ist der Richter, der über den Zeitpunkt des Öffentlichkeitsausschlusses entscheidet. Passierte dies viele Jahre erst nach Verlesung der Anklage, ist es heutzutage immer öfter vorher.

Nicht zu vergessen: Dabei lässt das GVG auch die Möglichkeit von Teilausschlüssen zu. In diesem Fall wird die Öffentlichkeit nur in ganz bestimmten Punkten ausgeschlossen. Wie zum Beispiel im Kezhia-Prozess, als es um ein psychologisches Gutachten über den Täter ging.

Ob mit oder ohne Öffentlichkeit – der Mann aus Bismark erhielt sieben Jahre und sechs Monate. Das Urteil wurde am vierten – nicht am sechsten – Verhandlungstag gefällt. Davon erfuhr die breite Öffentlichkeit aber nichts…