Kezhia-Prozess: Kein Urteil in Sicht

 

Verteidigung von Tino B.  stellt neue Beweisanträge

 

 

Nachdem der achte Prozesstag wegen der Erkrankung einer Schöffin nur als Überbrückungstermin genutzt werden konnte. Fand der neunte Prozesstag am 30. November 2023 wie geplant im Stendaler Gericht statt. Der Prozessbericht wurde am Freitag, 1. Dezember 2023 in der Altmark Zeitung in den Ausgaben für den Altmarkkreis Salzwedel und den Landkreis Stendal in den Lokalteilen veröffentlicht. Die Überschrift hieß: Polizist widerspricht Tino B. - Kezhia-Prozess: Nebenklage nennt die Tat „geplant".

38 Minuten nach Ende des neunten Prozesstages wurde der Angeklagte wieder vom Hof des Landgerichts gefahren.©T.Pfundtner

 Was für ein Prozesstag! Auch am neunten Verhandlungstag gegen Tino B., der gestanden hatte, seine langjährige Freundin im Affekt getötet zu haben, wurden Einzelheiten bekannt, die viele Aussagen des Angeklagten widerlegen – zumindest aber schwer in Frage stellen.

Damit nicht genug: So wie es aussieht, könnte es passieren, dass die angesetzten Verhandlungstage bis in den Februar 2024 hinein nicht ausreichen werden, um die Beweisaufnahme zu beenden.

Aber der Reihe nach:  Zunächst einmal erklärte Richter Ulrich Galler, dass er die beiden Sachverständigen, die gestern aussagen sollten, aus Krankheitsgründen ausgeladen habe. Sie sollen nun am 14. Dezember angehört werden.

Dann ging es gleich in die Vollen. Zunächst trat Polizeihauptmeister Sch. in den Zeugenstand. Der 47-Jährige hatte die Daten aus dem Fahrtenschreiber im Dienstwagen von Tino B. heruntergeladen. Er erläuterte dem Gericht, dass diese nur dann ausgelesen werden können, wenn mittels einer speziell codierten Karte erkannt wird, dass alles vom kleinen Chip übertragen werden darf. Inklusive Kennzeichen und Fahrgestellnummer. Danach, so Sch., wurden dann mit einem sogenannten „Download Key“, alle Daten heruntergeladen, auf einen PC überspielt und in Form von Zeittabellen, Unterbrechungen und Datumsangaben aufbereitet. Fehler könne er ausschließen, da der Computer im Wagen von B. geeicht war. „Der „Download Key“ meldet außerdem einen Fehler, wenn etwas nicht stimmt.“ Sämtliche ausgelesenen Daten wurden anschließend den Schöffen und dem Angeklagten zum Nachlesen übergeben. Bevor dann Kriminalrat H. aussagen sollte, stellten die Verteidigerin des Angeklagten, Catharina Bombach aus Gardelegen und Julia Melz aus Leipzig, erneut Beweisanträge an das Gericht, die den bereits abgelehnten sehr ähnelten.

So verlangte die Verteidigung, dass anstelle der abgelehnten Krankenakten, nunmehr Briefe von der getöteten Kezhia H. an den Angeklagten in den Prozess mit einbezogen werden: „Sie beweisen, dass die getötete Freundin unter psychischen Problemen litt.“,

Auch wurde die Arbeitshose, die B. am Tattag trug, erneut thematisiert. Diesmal soll das Gericht das Kleidungsstück in Augenschein nehmen. Grund: So könne gesehen werden, dass es Schlitze im Stoff gibt, die auf ein Messer hindeuten. So würde bewiesen, dass Kezhia ihren Freund angegriffen und zum Geschlechtsverkehr habe zwingen wollen.

Erneut wurde auch der Diplompsychologe, der Tino B. nach seinem ersten Gefängnisaufenthalt therapiert hatte, gehört. Der Angeklagte habe sich in Behandlung begeben, da er, seitdem er in Haft sexuell missbraucht wurde, traumatisiert sei. Unter anderem könne er Drucksituationen im Zusammenhang mit Sexualität nicht ertragen.  Als Kezhia ihn am Tattag – nach seiner Aussage – zum Geschlechtsverkehr zwang, weil sie ein Kind von ihm wolle, hätte er den Druck nicht ausgehalten und habe auf sein Opfer eingestochen – insgesamt 32 Mal. Bei einer derartigen Reaktion spricht man von Übertötung, die darauf hindeuten kann, dass der Täter zum Tatzeitpunkt nicht schuldfähig war.

Im vierten Antrag wird verlangt, dass nach den Aussagen des Diplom-Psychologen ein psychiatrisches Gutachten über B. erstellt wird, um zu beweisen, dass B. schuldunfähig war und sich nicht erinnern könne.

Ermittlungsergebnisse stehen im Widerspruch zu Aussagen von Tino B.

Emotionslos nahm Richter Galler die Anträge entgegen und setzte die Verhandlung mit der Anhörung von einem Ermittlungsbeamten fort und rief Kriminalrat H. in den Zeugenstand. Er war Leiter der Ermittlungsgruppe, leitete die Hausdurchsuchung im Haus der Familie B. und vernahm den Angeklagten. H. erinnerte sich an Erstaunliches: So habe der Beschuldigte versucht, sich selbst als Opfer dazustellen und sei auf viele Fragen – Kezhia betreffend – nicht näher eingegangen, sondern versuchte abzulenken.

Auch bei den vermeintlichen Fahrten am Tattag nach Wolfsburg und Braunschweig sei es immer wieder zu Widersprüchen gekommen: „Wir wussten durch die ausgelesenen Daten aus dem Fahrtenschreiber ungefähr, wohin das Auto gefahren war. Da passte vieles nicht zusammen."

Später seien H. und ein anderer Kollege mit dem Verdächtigen eine Route abgefahren, die zu einem kleinen Waldstück führte, von dem der Angeklagte immer sprach. Auch da hätte es Unterschiede zu den Angaben B.s und den vermeintlichen Autofahrten gegeben.

H. widersprach auch der Aussage von Tino B., seine Frau und er würden getrennte Schlafzimmer benutzen, da sie in Scheidung leben würden: „Darauf deutete im Haus nichts hin. Drei Kinderzimmer und ein Raum mit einem Doppelbett.“

Und noch etwas fiel H. auf: Immer, wenn es für Tino B. eng wurde, warf er den Beamten vor, sie würden ihn unter Druck setzen, um Aussagen zu bekommen. „Wir haben ihm gesagt, wenn er nichts sagen will, dann eben nicht. Aber unter Druck haben wir ihn nie gesetzt.“

Nebenklageanwalt Holger Stahlknecht: „Viele Zeugenaussagen beweisen mir, dass Tino B. seine Tat geplant hat. Er hat am Tattag um 13.01 Uhr sein Handy ausgeschaltet und erst wieder in Betrieb genommen, um die SMS „Kezhia, wo bist Du“ abzusetzen. Er hat die Handys von seiner Freundin zerstört. Außerdem ist er über Feldwege zur Bushaltestelle gefahren, um nicht gesehen zu werden. Nicht zu vergessen, dass Professor Brinkhoff, der das Bewegungsprofil erstellte, vor Gericht erklärte, dass er keine Veränderungen im emotionalen Fahrverhalten des Angeklagten vor und nach der Tat erkannt habe.“

Der Prozess wird am 1. Dezember mit dem Gutachten des Gerichtsmediziners fortgesetzt.