Kezhia-Mord: Eine Affäre, keine Beziehung

 

Zeugin aus gemeinsamer Therapie spricht über das Seelenleben des Opfers

 

 

 Am Freitag, 03. November 2023, erschien der Bericht über den sechsten Prozesstag in der Altmark Zeitung im Lokalteil für den Landkreis Stendal unter der Überschrift: „Eine Affäre, keine Beziehung“.

Zu Beginn des Verhandlungstages saß der Angeklagte Tino B. mit einem Aktendeckel vor dem Gesicht im Gericht. ©T. Pfundtner 

Klötze/Stendal Am gestrigen Verhandlungstag um Tino B., der gestanden hat, die 19-jährige Kezhia H. mit zahlreichen Messerstichen getötet zu haben, hörte das Gericht zwei Zeugen. Bevor – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – die Mutter der jungen Frau aussagte, betrat Carolin S. den Saal.

Sie lernte „Kessie“, wie Kezhia von ihren Freunden genannt wurde, während eines gemeinsamen Therapie-Aufenthalts in der Fachklinik Uchtspringe kennen: „Als Kezhia auf unsere Station kam, haben wir gemeinsam gegessen und auch die gleichen Therapien besucht“, erzählt die Zeugin. „In der ersten Zeit zog sie sich sehr zurück und ihr Blick schien zu sagen, lasst mich bitte in Ruhe. Das haben wir alle respektiert und abgewartet, bis Kessi mit uns sprechen wollte.“

Kessi, sei wohl bereits einige Wochen früher nach Uchtspringe gekommen und auf einer anderen Station therapeutisch behandelt worden, erinnert sich Carolin S.

Dass Kessie sich für Sport interessierte – besonders für Fußball – haben alle auf der Station gewusst, denn „sie trug immer Trikots von ihrem Heimatverein.“ Problematisch wurde es, als Kezhia, die sich am Anfang sehr zurückgezogen hatte, in den Sportstunden förmlich aufblühte und großen Ehrgeiz entwickelte: „Ob Volley-, Prell-, Hand- oder Fußball – sie war sehr ehrgeizig, legte voll los und erwartete das Gleiche von uns allen.  Das hat viele abgeschreckt.“ Später sei Kessie ihr Verhalten in einer Gruppensitzung „gespiegelt“ worden und „wir haben sie gebeten, dass sie bitte lernen solle, dass nicht alle so sind wie sie“, sagt Carolin S. und fährt fort: „Erst hat sie das als negative Kritik an sich aufgefasst. Aber als es ihr besser ging, hat sie sich zurückgenommen und auch beim Sport dem Spaß Vorrang gegeben.“ Dies sei ein paar Wochen später passiert, als Kezhia nicht mehr so „verschlossen war, sondern auch mehr bereit war, über sich zu reden."

Auf die Frage des Richters, ob Kezhia auch über ihr Verhältnis zur Familie gesprochen habe, erzählte die Zeugin: „Kessie beschrieb ihr Zusammenleben mit ihrer Mutter und dem Bruder als schwierig. Besonders den frühen Tod ihres Vaters hatte sie wohl nicht verkraftet.“

 Woran sie das festmache, wollte Richter Galler wissen.

„In der Therapie sollte Kessie ein Bild über ihre Familie malen. Sie zeichnete ein Haus und drei Personen. Links standen ein Mann und eine Frau in der Sonne, rechts daneben ein Mädchen unter einer Regenwolke.“

Auf die Frage, was dies bedeuten würde, erzählte Carolin Sch., in der Therapie sei erklärt worden: Kezhia fühlt sich allein auf der Regenseite. Sie möchte aber viel lieber auf der Sonnenseite – zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder stehen.

In einer anderen Gruppensitzung äußerte Kezhia ihren Kummer darüber, dass sie viele Streitereien zwischen den Eltern mitbekommen habe. Sie hätte auch ihr Kinderzimmer ihrer Mutter überlassen müssen, damit sie allein schlafen könne. Auch das Verhältnis zu ihrem Bruder sei nicht so, wie sie es sich wünschen würde.

„Ich hatte das Gefühl, Kezhia hat in ihrer Jugend viel mitgemacht. Besonders seit dem Tod ihres Vaters fühlte sie sich von ihm allein gelassen“, erinnert sich die Mitpatientin. „Manchmal war sie wie ein richtiges Kind, schnell eingebildet und beleidigt.“

Kezhia fühlte sich allein auf der Regenseite der Familie.

Ihre Ausbildung beschäftige Kezhia anfangs ebenfalls: „Sie wollte dort weg, weil sie sich nicht wohlfühlen würde und sie auch noch Lohn zu bekommen hatte. Wir wussten, dass das nur vorgeschoben war, wenn sie in der Gruppe über sich erzählte.“ Sie wollte nicht viel von sich preisgeben. Doch je länger die Therapie andauerte, umso selbstbewusster und sicherer wurde Kezhia, erinnert sich Carolin S.

Vorsichtig führt Richter Galler die Zeugin zur Beziehung zwischen Tino B. und Kezhia.

„Für mich war das eine Affäre, keine Beziehung“, antwortet Carolin S., „Kessie litt darunter, dass ihr Freund sie betrügen solle. Auf dem Martinimarkt in Klötze sei er mit seiner Frau händchenhaltend unterwegs gewesen. Das könne sie nicht verstehen.“

Als Kessie dann eines Abends bei einem privaten Treffen von Patienten gesagt hat, dass sie sich ein Kind von ihrem Freund wünscht “waren wir alle geschockt. Wir haben ihr gesagt, dass sie noch sehr jung und ihre Ausbildung doch wohl erstmal wichtiger sei.“  Interessanterweise habe Kessie nie den Namen ihres Freundes bei den Gesprächen genannt: „Ich wusste nur dass sein Vorname mit T. begann. Kezhia hatte etwas mit seinen und ihren Initialen gebastelt.“ Als Richter Galler wissen möchte, ob Tino B. Kezhia besucht habe, antwortet Carolin S. „Nur vom Hörensagen. Aber ich weiß, dass es einen unerlaubten Abendbesuch gab.  Normalerweise durften wir nur Besucher nach Anmeldung empfangen.“ Ansonsten hätte sich Kezhia von ihm allein gelassen gefühlt.

„Daran kann ich mich gut erinnern. Als wir in der Gruppe mit dem Therapeuten zusammensaßen, erzählte Kessie, sie habe Angst, ihren Freund zu verlieren.“

„Ist er denn jetzt da. Ist er da, wenn es Ihnen schlecht geht, steht er an Ihrer Seite?“, wollte der Therapeut wissen. „Das verneinte Kessie." Ob Kezhia da erkannt habe, wie das Verhältnis in Wahrheit war, weiß niemand. Während der ganzen Vernehmung betont Carolin S. des Öfteren, dass die Therapie Kezhia positiv veränderte: „Sie bekam wieder Spaß am Leben, war fröhlich und schmiedete Pläne.

Der Prozess am Landgericht Stendal wird am heutigen Freitag (3.11.2023) fortgesetzt. Es ist vorgesehen, dass Verwandte des Täters gehört werden.