„Sie hat ihn vergöttert“

 

Bewegende Aussagen von Kezhias Großmutter über ihre getötete Enkelin

 

 

Am Samstag, dem 4. November 2023,  erschien der Bericht über den siebten Verhandlungstag in der Altmark Zeitung in den Lokalteilen für den Landkreis Stendal und dem Altmarkkreis Salzwedel unter der Überschrift: „Sie hat ihn vergöttert".

Da die Verhandlung früher als erwartet endete, musste Tino B. erst noch in einer Kellerzelle vom Landgericht warten, bevor er im Gefangenentransporter in die JVA-Burg gefahren wurde.© T.Pfundtner

Klötze/Stendal Es herrscht Totenstille in Saal 218 im Landgericht Stendal, als Kezhias Großmutter Christine H. den großen Raum betritt, um auszusagen. Auf einen Stock gestützt, aber in kerzengerader Haltung begibt sie sich zum Zeugenplatz. Nachdem Richter Ulrich Galler die 71-Jährige über ihre Wahrheitspflicht belehrt hat, bittet er die Rentnerin, den Tag zu schildern, an dem sie ihre Enkelin Kezhia zum letzten Mal gesehen hat. Mit ruhiger und klarer Stimme berichtet Christine H., dass ihre Enkelin am Freitag, dem 3. März erst beim Arzt war und später einen Friseurtermin hatte.  „Die Zeit dazwischen hat sie bei uns verbracht und mit uns Mittagsbrot gegessen.“ Die Großmutter erzählt, dass Kezhia eigentlich auch am Sonnabend zum Essen kommen wollte, sich ihre Pläne aber änderten: „Oma, ich wollte ja zum Essen kommen, aber das wird nichts. Mutter hat Schichtkohl gekocht, da esse ich bei ihr. Danach kommt dann Tino und holt mich ab“, schrieb ihr Kezhia. „Ich antwortete, dass sei in Ordnung und dass sie mir bitte ein Foto ihrer neuen Frisur schickt.“ Christine H. wendet sich an den Richter: „Ich habe es dabei, möchten sie es sehen…?“ und hält ihm das Handy entgegen.

„Sie hat sich so auf das Wochenende gefreut. Am Sonnabend wollte sie mit ihrem Freund zum Schwimmen gehen, hat mich deshalb gefragt, wie das Bad in Salzwedel sei. Und Sonntag sollte es zum Fußball nach Wolfsburg gehen.“

Kezhias Großmutter erinnert sich, dass ihre Enkelin glücklich und zufrieden wirkte, sollte es doch am Montag mit ihrem Freund für ein paar Tage in den Urlaub nach Freiburg und zu einem Konzert gehen. Nein, wer den Urlaub bezahlt habe, wisse sie nicht, antwortet sie auf eine Nachfrage.

Dann berichtet sie, dass ihre Enkelin gerade aus Uchtspringe wieder nach Hause gekommen war: „Kezhia hatte Urlaub bekommen, um einige Dinge zu regeln.“ Es ging um ihre berufliche Zukunft, erzählt Christine H., „Sie war doch so lange krank, hatte Angst, dass sie die Prüfung nicht besteht. Da gab es einiges zu klären.“ Wichtig war ihr auch, dass sie einen Kinderkochkurs, den sie an ihrer alten Schule begonnen hatte, wegen ihrer Therapie noch einmal verschieben müsste. „Es war ihr wichtig, die Schulleitung zu informieren.“ Christine H. berichtet weiter, dass Kezhia so schnell wie möglich ihre Meisterprüfung ablegen wollte: „Sie träumte davon, sich selbstständig zu machen.“

Dann erinnert sie sich daran, wie sie von Kezhias Beziehung zu Tino B.  erfuhr. „Ich hatte ihn mehrere Male auf dem Fußballplatz als Trainer erlebt, kannte ihn aber nicht. Ich weiß nur noch, dass er sehr impulsiv und beleidigend den Kindern gegenüber war.“ Eines Tages sei Kezhia gekommen und schwärmte, dass sie einen Freund habe. „Sie wollte aber nicht verraten, wer es sei.“ Es dauerte, doch dann rückte Kezhia mit dem Namen raus.

„Was der, der ist doch viel zu alt für Dich. Und er ist verheiratet, hat Kinder und saß im Gefängnis, entfuhr es mir, Kezhia hat alles beiseite gewischt und erzählt Tino, lebe in Trennung, wird geschieden.“

Nein, sie und ihr Mann hätten nie mit Tino B. gesprochen oder ihn bei sich zu Hause begrüßt: „Wenn Kezhia kam, wartete er in seinem Auto, weit von unserem Haus entfernt. Selbst wenn ich für sie und ihn gekocht habe, holte Kessie das Essen immer allein ab.“ Christine H. fährt fort: „Was Tino anging, war meine Enkelin beratungsresistent. Allerdings wollten mein Mann und ich uns auch nicht einmischen. Sie sollte eigene Erfahrungen sammeln.“

Wie sie als Großmutter denn die Beziehung zu Tino B. beurteilen würde, wollte das Gericht wissen: „Wissen Sie, er hat es verstanden, ihr alles in die Ohren zu säuseln, was sie hören wollte. Tino war ihre erste große Liebe." Christine H. stockt einen Moment, fährt dann fort: „Manchmal haben wir gedacht, vielleicht ist es doch das Richtige. Wir wurden eines Besseren belehrt…“

Fast 40 Minuten erzählt Kessies Großmutter von ihrer Enkelin. Sie verneint, dass Kessie sich jemals geritzt habe, wie Tino B. behauptete: „Ich habe ihre Arbeitshosen gekürzt, dafür musste sie sich ausziehen. Ich habe keine Verletzung entdeckt.“

Auch beschreibt sie Kezhias Verhältnis zu ihren Eltern anders, als es Tino B. in seiner Einlassung darstellt: „Kezhia war ein Papakind und wurde von ihm verwöhnt. Da musste die Mutter schon mal eingreifen. Ansonsten war aber alles völlig normal.“ Dass ihre Enkelin ihr Zimmer der Mutter überlassen musste? „Davon weiß ich nichts.“

Kezhia hatte genaue Pläne für die Zukunft.

Als Tino B.s Rechtsanwältin Catharina Bombach aus Gardelegen von der Zeugin wissen möchte, ob ihre Enkelin „mit Ihnen über ihre Probleme gesprochen hat?“, kommt es wie aus der Pistole geschossen zurück: „Was für Probleme? Kezhia war selbstbewusst und hat alles eigenständig geregelt. Wenn sie etwas nicht erzählen wollte, schwieg sie. Kessie hat immer erst nachgedacht und dann geredet.“ Aus diesem Grund, so die Großmutter, kommunizierte sie ihre Beziehung zu Tino B. stets offen. Ja, sie wollte ihn nach der Lehre heiraten und eine Familie mit Kindern gründen: „Ich möchte sagen, sie hat Tino vergöttert – bis zum letzten Tag...“ Nach gut 40 Minuten wird Christine H. aus dem Zeugenstand entlassen und sie geht hocherhobenen Hauptes an Tino B. vorbei und nimmt Platz im Publikum.

Der hält die Hände verschränkt vors Gesicht, bleibt regungslos und wirkt abwesend. Auch die Zeugenaussage eines früheren Freundes seiner jüngsten Tochter scheint an Tino B. vorbeizugehen. Der junge Mann berichtet von einer glücklichen Familie B., die immer höflich miteinander umging. Und er sagt aus, dass bei dem Fußballbesuch in Wolfsburg nie davon die Rede war, dass Kezhia mitkommen solle. B. hätte auch nur drei Tickets in seinem Handy abgespeichert. Nicht vier, wie Tino B. immer wieder angegeben hatte.

Nach dem jungen Mann werden noch drei weitere Zeugen aufgerufen: Der Vater von Tino B., sein Sohn und seine Ehefrau. Alle verweigern die Aussage – Christina B. unter Tränen.

Der Prozess wird am 14. November fortgesetzt.