Kezhia: Keine Überlebenschance

 

Gutachten nennt Fakten, kann aber den Tatverlauf nicht eindeutig erklären

 

 

Der zehnte Prozesstag fand am 1. Dezember 2023 im Stendaler Gericht statt. Der Bericht darüber wurde am Samstag, 2. Dezember 2023 in der Altmark Zeitung in den Ausgaben für den Altmarkkreis Salzwedel und den Landkreis Stendal in den Lokalteilen unter der Überschrift Keine Überlebenschance  veröffentlicht. Auf der Titelseite erschien ein Kurzbericht unter dem Titel Kezhia: Innerlich verblutet - IM GERICHT Rechtsmediziner stellt Gutachten vor.

Verhandlungssaal 218 in Stendal©T.Pfundtner

 Vier Zeugen und zwei Sachverständige wurden gestern vor der 2. Strafkammer am Landgericht Stendal im Prozess gegen Tino B.  gehört. Ein Mammutprogramm, das sich bis in den Nachmittag zog. Pünktlich um neun Uhr nahm der Hausarzt von Kezhia H., Alexandru C. aus Klötze im Zeugenstand Platz. Er sollte über den Gesundheitszustand von Kezhia H., die von ihrem 23 Jahre älteren Freund Tino B. mit 32 Messerstichen getötet wurde, berichten. Doch bevor es losging, stellte Rechtsanwalt Holger Stahlknecht, der Kezhias Mutter als Nebenklägerin vertritt, den Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit. Dies begründete er mit dem Recht auf Persönlichkeitsschutz bei seiner Mandantin und ihrer Tochter. Dem Antrag wurde nach kurzer Beratung stattgegeben.

Nach dieser Anhörung wurden drei weitere Zeuginnen gehört, die zu einigen Einzelheiten Auskunft gaben. Eine berichtete, dass sie am Tattag einen Mann beobachtet habe, der sich von der Bushaltestelle in Klötze entfernte. Auch thematisierte eine der Zeuginnen noch einmal das Dienstfahrzeug von Tino B., das sie in Klötze erkannt hatte. Kleinigkeiten, die zur Wahrheitsfindung wie ein einzufügendes Puzzleteil bewertet werden könnten.

Dann aber wurde es dramatisch. Wenige Minuten vor 12 Uhr kam Dr. Thomas Rothämel in den Verhandlungssaal und nahm neben Oberstaatsanwältin Ramona Schlüter und Rechtsanwalt Stahlknecht Platz. Mit Spannung und zeitweiligem Entsetzen folgten die Zuschauer und das Gericht dann seinen ausführlichen Erläuterungen und Erklärungen.

Der Rechtsmediziner an der Medizinischen Hochschule Hannover hatte wenige Tage nach dem Auffinden der sterblichen Überreste von Kezhia H. am 20. April im Auftrag der Polizei und der Staatsanwaltschaft ihre Leiche obduziert, um ein Gutachten zu erstellen. Dieses stellte er gestern ausführlich vor.  Nach einigen einführenden Worten begann er detailliert die 32 Messerstiche, die zum gewaltsamen Tod von Kezhia H. führten, zu beschreiben. Er erklärte, dass es 23 Einstiche gab, die Tino B. von oben nach unten ausführte und neun, die von unten nach oben erfolgten. Für jeden einzelnen Stich gab der Experte die jeweilige Länge der Wunde an. Und er führte aus, wie tief das Obstmesser, mit dem Tino B. auf sein Opfer einstach, in Kezhias Körper eindrang. Die Wunden waren zwischen 15 und 22 Millimeter lang und drangen bis zu 8,5 Zentimeter unter die Haut ein.

Auf Nachfrage erklärte der Gutachter, dass er nicht sagen könne, wie schnell Tino B. auf Kezhia H. eingestochen habe, schloss aber aus, dass es Stunden gewesen seien.

Der Gerichtsmediziner hat viele erschreckende Fakten, kann den Tathergang aber auch nicht klären.

Während Dr. Rothämel, der über 37 Jahre Berufserfahrung verfügt, redete, verbarg der Täter sein Gesicht hinter den Armen und saß gebückt auf seinem Stuhl. Einmal zückte er ein Tempotuch, zeigte ansonsten jedoch keinerlei Reaktionen. Auch als alle Prozessbeteiligten und der Gutachter sich am Richtertisch Fotos zu verschiedenen Verletzungen – darunter eine vermeintliche Stichwunde, die Kezhia H. dem Angeklagten zugefügt haben soll – begutachteten blieb Tino B. auf seinem Stuhl hocken.  In seinem Geständnis hatte B. behauptet, dass Kezhia ein Messer in der Hand hatte. Sein Obstmesser. Damit hätte Kezhia ihn an der Hand verletzt. „Ich wollte ihr das Messer abnehmen. Sie schnitt mich an der linken Hand“, schrieb B. in seinem Geständnis.  Dies konnte Dr. Rothämel so nicht bestätigen, aber auch nicht ausschließen.

Daraufhin erklärte Richter Galler lächelnd, dass er eine solche Antwort nicht so gern sieht. Dies bestätigte sich kurz darauf, als eine der beiden Verteidigerinnen ihre Frage an den Gutachter mit einem „Können Sie ausschließen“ begann. „Formulieren Sie bitte Ihre Frage positiv“, bat der Richter, Ausschluss sei kein Kriterium.

Im Gutachten wurde weiter nachgewiesen, dass Kezhia H. nicht schwanger war. Ferner wurden die letztendlichen Todesursachen, die durch die 32 Messerstiche ausgelöst wurden, genau erläutert.  Spätestens in diesem Moment war allen im Verhandlungssaal klar, dass Kezhia H. keine Überlebenschance hatte.

Nachdem Dr. Thomas Rothämel geendet hatte, beantwortete er die Fragen des Gerichts, der Verteidigung und der Nebenklage.

Unter anderem beschäftigte sich das Gericht mit der Frage, ob es möglich sei, in einem beengten Auto zuzustechen – so, wie es Tino B. in seiner Einlassung beschrieben hatte. Dies bejahte der Gutachter, dem das Geständnis ebenfalls zugegangen war.

Und er erklärte, dass es keiner außergewöhnlich starken Kraft bedürfen würde, um solche Verletzungen zuzufügen.

Ob es zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen Kezhia H. und Tino B. kurz vor den Messerstichen gekommen war, lautete eine andere Frage: „Wir haben die sterblichen Überreste 45 Tage nach der Tat obduziert. Zu diesem Zeitpunkt ist die Gewebebeschaffenheit schon stark verändert. Wenn wir einen Abstrich hätten nehmen können, könnte ich die Frage beantworten. Aber so…"

Dann stellten Verteidigung und Nebenklage Fragen zu männlichem Sperma. Ob dies auch noch nach langer Zeit bei Kezhia hätte nachgewiesen werden können. Davon ging Dr. Rothämel aus, zumal die sterblichen Überreste des Opfers vergraben wurden und „Erde konserviert.“

Außerdem erklärte der Fachmann, dass sich Sperma lange halten würde – „eigentlich ewig.“

Am Ende der Verhandlung sagte Nebenklage-Anwalt Holger Stahlknecht der AZ: „Dr. Rothämel hat die Messerstiche ausführlich beschrieben. Aber, wie sich die Tat tatsächlich ereignet hat, kann auch das Gutachten nicht sagen."

Der Prozess wird am 14. Dezember fortgesetzt.