Überzeugender Einstand

  

Gelungene Premiere der neuen Intendantin am Theater der Altmark

 

Gelungene Premiere, glückliche Intendantin Dorotty Szalma© T.Pfundtner

 

Die Kritik am Premierenstück Mamma Medea des Theaters der Altmark erschien in der Altmark Zeitung in der Ausgabe für den Landkreis Stendal im Lokalteil für Stendal/ Arneburg-Goldbeck am Montag, 11. September 2023.

Das Liebespaar Medea und Jason in Mamma-Medea_01471 ©TdA/NilzBöhme

Stendal – Mit Spannung wurde die erste Regiearbeit der neuen Intendantin am Theater der Altmark, Dorotty Szalma, erwartet. Mit der Premiere von „Mamma Medea“ von Tom Lanoye legte sie nun ihre erste Inszenierung vor. Der belgische Autor veröffentlichte 2001 eine moderne Variante über die wohl berühmteste Kindsmörderin in der Literatur: Medea! Uraufgeführt 431 v. Christus erzählt der jüngste der klassischen Tragödiendichter Euripedes eine Geschichte über Verrat, Liebe, Migration, Demütigung, Betrug und Zerstörung der Lebensträume.

Königstochter Medea (Susan Ihlenfeld) verliebt sich unsterblich in den Abenteurer Jason (Paul Worms) aus Griechenland, der das Goldene Vlies von ihrem Vater einfordert. Überwältigt von ihren Gefühlen verrät Medea ihr Land, ihren Vater und wird zur Brudermörderin. Doch das Liebespaar muss vor der Rache ihres Vaters fliehen…  Jahre später lebt das Paar als Migranten in Korinth. Ihre Ehe ist gescheitert, er betrügt sie mit der jungen Königstochter Kreusa (Siri Wiedenbusch). Die Hochzeit mit ihr soll endlich Jasons Träume von Karriere und Macht erfüllen. Medea ist dafür ein Störfaktor, der durch Verbannung „entsorgt“ werden soll. Auch die gemeinsamen Kinder beansprucht Jason für sich. Nur hat er nicht mit der Wut von Medea gerechnet, die auf brutalste Weise an ihm Rache nimmt…

Susan Ihlenfeld als Medea und Paul Worms als Jason. ©T.Pfundtner

Das Ensemble von Mamma Medea. Susan Ihlenfeld (in schwarz gekleidet) als Medea und Paul Worms als Jason (rechts neben ihr) inmitten des Ensembles – das neue Traumpaar am TdA. © T.Pfundtner

Leider besuchten nur 222 Zuschauer die Premiere. Und für die nächste Vorstellung sind bisher auch nur knapp über 30 Karten verkauft. Das ist schade, gelingt es doch Dorotty Szalma und den Schauspielern einen bis heute aktuellen – aber auch nicht einfachen – Stoff anschaulich auf die Bühne zu bringen, ohne auszuschweifen. Susan Ihlenfeld überzeugt als junge, selbstbewusste Frau, die scheinbar in den Wahnsinn abgleitet und an der Desillusionierung der anfänglichen Liebe Jasons scheitert. Paul Worms wiederum pendelt gekonnt zwischen Heuchelei, Macho-Gehabe und einschmeichelndem Liebhaber hin und her. Gerade im ersten Akt lässt Dorotty Szalma ihren Schauspielern Raum, sich zu entfalten. Das nutzen Susan Ihlenfeld und Paul Worms keinesfalls aus. Im Gegenteil: Durch ihr Zusammenspiel errichtet das Paar einen Spannungsbogen für die Zuschauer, der im zweiten Teil in „tragischer Wucht“ explodiert. Gelungen ist ebenfalls der Wechsel zwischen Antike und Moderne: Tragen die Darsteller im ersten Teil, außer Jason und seinen Freunden, eher gedeckte Farben, erstrahlt nach der Pause alles in Weiß. Nur Medea trägt weiterhin Schwarz.

Gelungen auch die Gratwanderung zwischen „alter“ und „neuer“ Sprache. Dominieren den ersten Teil klassische Verse, stellt Dorotty Szalma nach der Pause den „Wiener Schmäh“ den klassischen Versformen an die Seite. Hier sticht die Wienerin Kerstin Slawek als Medeas Dienerin heraus, die beweist, wie weich ihr Heimatdialekt ist.  Der szenische Sprachwechsel macht deutlich, dass der pragmatische Jason gegen die höchst empathische Medea mit ihren glasklaren Vorstellungen von moralischen Regeln, von Ehre und tief empfundener Liebe, keine Chance hat. Kein Wunder also, dass Jason keinen Kompromiss mit Medea sucht, sondern ausschließlich seine Sicht auf das Sterben ihrer Liebe zulassen will.  Selbst seine vermeintliche Liebe zu den Kindern stellt sich als Farce heraus. Auffallend der Dialog zwischen Medea und der jungen Geliebten ihres Mannes Kreusa; einander gegenüberstehend, die die Wandlung von Freundschaft zu Feindschaft beeindruckend artikulieren. Es ist dieser zweite Teil des Dramas, der erklärt, warum Dorotty Szalma jetzt Intendantin am TdA ist: Ihre Mixtur aus Fantasie und Realität, Spaß am Spiel und Disziplin, Wertschätzung für kleine, überzeugende Gesten und Mienenspiel, überträgt eine mitreißende Spannung auf die Zuschauer – vom Anfang bis zum Ende. Hier stechen insbesondere die Monologe von Hannes Liebmann als König Aietes und Matthias Hinz, als Unheil verkündender Sportlehrer, heraus

 Stießen auf die Premiere an: Ex-Oberbürgermeister Klaus Schmotz mit Dorotty Szalma.©T.Pfundtner

An dieser Stelle wollen wir allerdings auch nicht verhehlen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt: So haben die Darsteller nach vielen Jahren auf kleineren, improvisierten Bühnen gestanden, kommen deshalb noch nicht so ganz mit der räumlichen Dimension im großen Theatersaal zurecht. Und wenn dann auch der Ton nicht stimmt, sodass teilweise nur Fragmente des Textes zu verstehen sind, ist es manchmal nicht leicht, der Handlung zu folgen. Insgesamt gelang Dorotty Szalma mit „Mamma Medea“ eine Inszenierung, die nicht nur Lust auf mehr macht, sondern gezeigt hat, dass in ihr, den Schauspielern und dem gesamten Haus – im positiven Sinne – noch sehr viel Luft nach oben ist! „Es war richtig, Dorotty Szalma zu verpflichten“, beschrieb der ehemalige Stendaler Oberbürgermeister Klaus Schmotz später auf der Premierenfeier seinen Eindruck über die erste Inszenierung.