Stendaler Tafel – täglicher Kampf gegen Armut und Hunger

 

Über 800 Menschen im Kreis werden mittlerweile von der Organisation mit Essen versorgt.

 

Bei der Tafel gibt es Lebensmittel jeglicher Art – aber immer abhängig von den jeweiligen Spenden.

Die Tafel Deutschland ist der Dachverband von über 960 Tafeln. Dieser gemeinnützige Verein vertritt die Interessen der Tafeln gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Darüber hinaus unterstützt er die Tafel-Arbeit vor Ort. Die Tafel-Akademie ist die Bildungsakademie der Tafeln. Sie unterstützt das Engagement von Tafel-Aktiven mit Bildungsangeboten.

Die überwiegend ehrenamtlich arbeitenden Helferinnen und Helfer sammeln Lebensmittel im Handel und bei herstellenden Unternehmen ein und verteilen diese an armutsbetroffene Menschen. Viele Tafeln bieten neben der Lebensmittelausgabe Zusatzangebote an – etwa einen warmen Mittagstisch, Nachhilfeunterricht oder Kinderbetreuung. Neben dem sozialen Ausgleich leisten Tafeln einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.

Durch die Möglichkeit, beim Einkauf zu sparen, verschaffen die Tafeln armutsbetroffenen Menschen einen kleinen finanziellen Spielraum. Gleichzeitig schaffen sie Raum für Begegnung und fördern damit soziale Teilhabe. Die Tafeln sind spendenfinanziert und selbst auf Unterstützung angewiesen.

Diese Reportage über die Stendaler Tafel wurde am 29. Dezember 2022 in der Altmark Zeitung im Regionalteil für den Landkreis Stendal veröffentlicht.

Stendaler Tafel am 23. Dezember 2022.

Eine Mutter und ihr Sohn verstauen die Lebensmittel, während Renate Rank (rechts) sich bereits wieder um eine andere Frau kümmert.

Renate Rank im kleinen Kühlraum der Stendaler Tafel mit verschiedenen Lebensmittel-Spenden.

Stendal.  Sie ist Mitte 40, Mutter von mehreren Kindern, die versorgt werden müssen und findet keine Arbeit. Schon seit vielen Jahren kommt sie regelmäßig zur Stendaler Tafel, um mit zusätzlichen Lebensmitteln versorgt zu werden. Die Frau – nennen wie sie Marianne – ist eine von über 400 Bedürftigen, die auf die Unterstützung der Stendaler Tafel angewiesen sind. Zweimal in der Woche kommt Marianne zur Tafel neben der Kunstplatte, reiht sich in die Schlange ein und wartet geduldig, bis sie an der Reihe ist.

Rückblick. Vor 15 Jahren wurde auch in Stendal eine Tafel als gemeinnützige Organisation gegründet. Die Tafel sammelt überschüssige, aber noch essbare Lebensmittel, um diese an mittellose Menschen zu verteilen.

Fast die ganzen Jahre dabei ist Renate Rank (77). Für die Rentnerin ist es wichtig, sich ehrenamtlich und sozial zu engagieren. Mittlerweile ist sie stellvertretende Leiterin der Ausgabestellen in der Hansestadt, in Tangerhütte, Tangermünde, Bismark und Osterburg. „Bis vor einem Jahr haben wir in Stendal nur einmal in der Woche die Lebensmittel ausgegeben“, erzählt Rente Ranke, „mittlerweile sind wir an vier Tagen aktiv.“

Seit kurz vor acht Uhr sind Renate Ranke und vier weitere Mitarbeiter in den gemieteten Räumen in der Adolph-Menzel-Straße damit beschäftigt, die Ausgabe der Lebensmittel vorzubereiten.

Der Tafel-Ausweis, in den die einzelnen Ausgabe-Daten genau eingetragen werden.

Die Tafel gibt es für die Betroffenen nicht für umsonst: Für jeden Erwachsenen zahlen sie zwei Euro, für jedes Kind sind 50 Cent fällig. „Niemand soll denken, er bekommt etwas geschenkt“, weiß Renate Rank, „und für eine mittellose Person sind ein, zwei, drei oder vier Euro sehr viel Geld.“

Das ist für alle Tafeln in Sachsen-Anhalt so festgelegt, „aber“, wie Renate Rank erzählt, „das wird von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt.“

Für das Geld gibt es Gemüse, Obst, Wurst, Fleisch, Marmelade, Käse, Konserven, Haferflocken, Reis, Brot, Brötchen, Milch, Joghurt und, und, und…

Renate Rank: „Alles Ware, die nicht mehr verkauft wird, aber noch zum Verzehr geeignet ist.“

Für sie ist es unvorstellbar, dass diese Lebensmittel noch vor einigen Jahren weggeschmissen wurden: „Was war das für eine Verschwendung.“

Unvorstellbar, dass diese Lebensmittel noch vor einigen Jahren weggeschmissen wurden: „Was war das für eine Verschwendung.“

Ein Lieferwagen bringt Nachschub an gespendeten Lebensmitteln.

Veronika beim Sortieren frisch eingetroffener Lebensmittel. Die 62-jährige wurde arbeitslos und bekam bei der Stendal-Tafel einen 450-Euro Job.

 

Damit der Lebensmittelstrom nicht abreißt, sind ständig Kühllaster und Kleintransporter der Tafel in der Region unterwegs, steuern nach einem genauen Plan unterstützende Lebensmittelmärkte, Bäckereien, Gemüsehändler oder Discounter an und holen die Spenden ab.

Dazu gibt es unzählige private Spender, die die Tafeln unterstützen, sei es mit Geld oder ebenfalls mit Lebensmitteln.

Ein weiterer wichtiger Faktor sind mittlerweile die Tafel-Gärten: „Die Eigentümer oder Kleingartenvereine stellen uns brachliegende Gärten und Flächen zur Verfügung. Diese werden dann über das Job-Center mit Ein-Euro-Jobbern auf Vordermann gebracht und neu bepflanzt – mit Gemüse. Die Erträge geben wir an die Bedürftigen weiter“, erzählt Renate Rank.

Um das Angebot der Stendaler Tafel nutzen zu können, ist ein Nachweis der Bedürftigkeit notwendig. Das kann zum Beispiel der Hartz-IV-Nachweis oder ein Sozialhilfeausweis sein. Erst dann erhalten die Bedürftigen den Tafelausweis, in dem jedes Ausgabe-Datum eingetragen wird.

Wer denkt, dass es in Stendal nicht viele betroffene Personen gibt, die auf die Tafel angewiesen sind, wird von Renate Rank schnell eines Besseren belehrt: „Ukrainekrieg, Arbeitslosigkeit durch die Coronapandemie, aber auch persönliche Schicksalsschläge, haben dazu geführt, dass die Zahl massiv zugenommen hat. Sogar Studenten, die mit ihrem BaFöG nicht alle Kosten bestreiten können, werden von uns versorgt.“

Mittlerweile erhalten 800 Frauen, Männer und Kinder in Stendal und den anderen vier Anlauforten im Landkreis Lebensmittel-Kisten von der Tafel.

Über die Ausgaben und Einnahmen wird genau Buch geführt.

Olaf (54) und Susanne (51) haben soeben die letzten Vorbereitungen für den Ansturm abgeschlossen. Ingrid (71) kontrolliert noch einmal ihren Kugelschreiber und zählt das Kleingeld in der Kasse: „Damit es keine Verzögerungen beim Zahlen und Eintragen in den Tafelausweis gibt.“

Es ist der Tag vor Heiligabend. Deshalb gibt es für alle heiße Würstchen in einem Brötchen – fast alle Tafelgäste greifen gern zu.

Renate Rank hält für jedes Kind eine Tafel Schokolade bereit, die sie persönlich übergibt.

Bis zu drei Personen gleichzeitig werden in den Raum gelassen, damit sie den Inhalt aus den Kisten in mitgebrachten Taschen und Tüten verstauen können.

„Ohne die Spenden der vielen Menschen und der Unternehmen würden wir unsere Aufgabe nicht mehr schaffen“, erzählt die hauptamtliche Chefin der Stendaler Tafel, Melanie Märtens, „deshalb sind wir allen immer wieder zu großem Dank verpflichtet. Wir wünschen uns aus ganzem Herzen, dass sich dies nie ändert. Auch in der nächsten Zeit werden wir leider nicht weniger, sondern noch mehr Menschen unterstützen müssen.“

Während in den vorderen Räumen die Lebensmittelausgabe erfolgt, kommen an der Rampe die Kleintransporter an.

Die neuen Spenden werden abgeladen, sortiert und in einer kleinen Kühlzelle und diversen Kühltruhen verstaut. Haltbare Lebensmittel landen in dem kleinen Lager, neben der Ausgabe. Hier werden auch Großspenden, die über das Zentrallager der sachsen-anhaltischen Tafeln in Hohenerxleben kommen, aufbewahrt.

Gut zwei Stunden dauert die Ausgabe der Lebensmittel, dann sind alle Kisten leer und alle heutigen „Kunden“ versorgt … Zwei Stunden, die zeigen, dass Armut längst auch in Stendal angekommen ist.

Zum Abschluss noch ein paar Impressionen der Stendaler Tafel. Die Notwendigkeit wird durch die lange Warteschlange deutlich. Der Einsatz der Mitarbeitenden für jede Person, die Hilfe erbittet, zeigt sich im Raum der Tafel. Die Tätigkeit dort kann gar nicht genug gewürdigt werden. Ein großes Dankeschön an alle!