Volle Kirchen, gestresste Familien
Jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit wird nicht nur der Weihnachtszauber beschworen, nein es ploppen auch immer wieder Diskussionen über die Sinnhaftigkeit des Weihnachtsfestes in heutiger Zeit auf. Diese Diskussionsgrundlage mit dem Titel „Tradition contra Kommerz – Fest spaltet Gemüter / Nur wenige wollen es abschaffen“ erschien am Mittwoch, 06. Dezember 2023, in der Ausgabe für den Landkreis Stendal im Teil für Lokales der Altmark Zeitung. Am 9. Dezember erschien der Artikel ebenfalls in der Ausgabe für den Altmarkkreis Salzwedel im Lokalteil für die Altmark.
Stendal – Hätten Sie’s gewusst? Bereits 2009 – so ergab damals eine Umfrage – wollte jeder fünfte Bundesbürger Weihnachten abschaffen. Jahrzehnte zuvor – in der ehemaligen DDR – sollte das russische Väterchen Frost den Weihnachtsmann ersetzen und christliche Lieder umgedichtet werden. 2022 forderte die Gleichstellungskommission der Europäischen Union, dass es anstatt „Weihnachten“ besser „Winterfest“ heißen solle. Das wurde erst nach einigen Protesten revidiert. Im gleichen Jahr verlangten die Jusos in Esslingen (Baden-Württemberg) zahlreiche christliche Feiertag abzuschaffen und Weihnachten nur noch als kulturelles Fest zu erhalten.
Kein Wunder, dass jedes Jahr wieder die Diskussion aufkommt, Weihnachten abzuschaffen – sei es an Stammtischen, im Familienkreis oder am Arbeitsplatz. Hauptargument ist dabei fast immer mangelnder Glaube und die vermeintliche Verlogenheit der Religionen.
„Die meisten unserer Mitmenschen pflegen zu ihrem Herrgott ein Verhältnis wie zu ihrem Versicherungsmakler. Nur im Schadensfall rufen sie ihn an. Dennoch gibt es jedes Jahr am Heiligabend das gleiche Phänomen: Die Kirchen sind voll“, sagt dazu Michael Kleemann, Superintendent der evangelischen Kirche in Stendal.
Tatsächlich sind an den Weihnachtsfeiertagen die evangelischen und katholischen Gotteshäuser in Deutschland und auch in Sachsen-Anhalt oft wirklich bis auf den letzten Platz gefüllt.
Michael Kleemann: „Es gibt wohl immer noch eine Sehnsucht nach Vertrautheit, dem Ritual, dem Spirituellen. Dies müssen wir in der Kirche sehr ernst nehmen und nicht aus Enttäuschung über den Mangel an Nachfrage und Resonanz das restliche Jahr über aufgeben.“
Das zeigt sich auch in den Kindergärten, Musikschulen und Konzertsälen: Überall üben Mädchen und Jungen Krippenspiele und Weihnachtslieder und es erklingen festliche Konzerte mit alten Kirchenliedern für die Adventszeit.
Aber es gibt auch andere Fakten: Blieben früher die Diskotheken zumindest an Heiligabend geschlossen, öffnen sich heute spätestens um 22 Uhr die Türen der Musiktempel zum Tanz.
Damit nicht genug: Für die Wirtschaft gehört Weihnachten oft zum wichtigsten Geschäft des Jahres.
Die Kunden kaufen, wie es scheint, jedes Jahr mehr. Egal, ob Genussmittel, Dekoration oder Geschenke alljährlich gibt es neue Trends, die die Massen locken.
Vor zehn Jahren feierten noch rund 86 Prozent der Deutschen Weihnachten zu Hause. Im vergangenen Jahr gaben nur noch 58 Prozent an, daheim zu bleiben. 25 Prozent planten einen Urlaub, 17 Prozent wussten noch nicht, was sie machen. Meinungsforscher sind sich einig, dass sich die Zahlen in den nächsten Jahren weiter verschieben.
Weihnachten: Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit und Gottes Nähe
Das weiß auch Superintendent Michael Kleemann von der evangelischen Kirche in Stendal, der aber unmissverständlich gegen eine Abschaffung von Weihnachten ist. Er sagt: „Das muss man im Jahr 2023 schon erklären, in einer Gesellschaft, die sich zwar immer noch gerne als christliches Abendland verstehen will, aber ihr Verhältnis zu Glaube und Kirche mehrheitlich längst negativ entschieden hat. Die neueste Studie zur Kirchenmitgliedschaft zeichnet ein ernüchterndes Bild; in diesem Jahr wird die Zahl der Mitglieder gesamtdeutsch betrachtet erstmals unter 50% rutschen. In Ostdeutschland liegen wir mittlerweile in weiten Teilen unter 10%.“
Es ist aber nicht nur eine Frage des Glaubens, sondern es gibt auch andere Gründe: So wird dem familiären Familientreffen meist eine überhöhte Bedeutung zugemessen, weiß ein Telefonseelsorger. Es soll alles klappen und perfekt sein. Also sind Enttäuschungen vorprogrammiert.
Andere Motive sind der Stressfaktor mit der Familie und dem Organisieren. Aber auch, dass sich Weihnachten im Laufe der vergangenen Jahre von einem Fest der Besinnung immer mehr zu einer Hochzeit des Konsums entwickelt hat, bringt manchen dazu, sich aus der ganzen Angelegenheit zurückzuziehen.
„Weihnachten – wie es in unserer Region gefeiert wird – ist ein Bestandteil der christlich-abendländischen Tradition. Selbst unsere Zeitrechnung zählt immer noch die Jahre nach Christi Geburt. Warum sollte man sich von solchen kulturellen Wurzeln trennen?“, hält Dr. Gerhard Feige, römisch-katholischer Bischof von Magdeburg, dagegen und ergänzt: „Zudem ermöglicht dieses Fest wie kein anderes – bei aller Kritik an einem überzogenen Kommerz und trotz zurückgehender religiöser Überzeugungen – eine Intensivierung der menschlichen Beziehungen und trägt für viele dazu bei, sich wenigstens kurzzeitig wie im Himmel auf Erden zu fühlen. Die Sehnsucht nach Geborgenheit, Liebe und Frieden findet dabei manchmal sogar eine beglückende Erfüllung.“
Weihnachten hat Tradition
Und Michael Kleemann: „Gerade in einer Zeit, wo vieles auf dem Spiel steht oder zumindest seine Sicherheit verliert, dürfen – nein, müssen wir Christen unsere Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit und Gottes Nähe anbieten. „Unverdrossen“ würde Martin Luther sagen.
Außerdem ist Weihnachten nicht unser, sondern Gottes Fest! Also unverfügbar! Was geschieht mit einem Volk, das seine eigenen Wurzeln abschneidet oder eintrocknen lässt? Manches erleben wir gerade auf erschreckende Weise.“ Sein Fazit: „Natürlich feiern wir auch in diesem Jahr wieder Weihnachten! Unsere Kirchen sind offen und laden Sie herzlich dazu ein.“
Letztendlich entscheidet aber jeder für sich selbst, welche Bedeutung er dem Weihnachtsfest zumisst – aus religiösen Gründen, traditionellem Denken oder eben Spaß am Konsum und Schenken. Fest steht aber auch: Die Geschichte um Jesu Christi existiert seit 2023 Jahren – sie wird noch lange nicht vergessen werden!
Hinterlasse einen Kommentar