NCL – Sarah und ihre Geschwister:

 

Das fröhlichste Tauf-Kleeblatt von Hamburg

 

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Die Familie 2021 im neuen Haus. ©T.Pfundtner

 

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Alle Kinder der Familie lieben den Begleithund Amy. 2021 war er noch ein Welpe©T.Pfundtner

Das Schicksal der jungen Sarah und ihre Familie, deren Leben seit Jahren durch die unheilbare Krankheit NCL beeinträchtigt wird, beschäftigt mich seit dem Jahr 2017. Dabei steht nicht die Krankheit im Vordergrund, sondern die besondere Art des liebevollen und fürsorglichen Umgangs miteinander beeindrucken bei jedem Besuch. Jedes Familienmitglied hilft und unterstützt Sarah, trotzdem kommen die Brüder nicht zu kurz, weil die Familie viel zusammen unternimmt und jeder scheint für den anderen da zu sein.

Die Lebenssituation dieser Familie ist von Sorgen und Widerständen beeinflusst. Allein die Kenntnis dieser Schwierigkeiten und die Ohnmacht gegenüber Ämtern und Vorschriften machen rat- und sprachlos. Nur durch den Zusammenhalt der gesamten Familie – aller Generationen – lässt sich die Stärke und die Durchhaltefähigkeit erklären.

Geholfen hat auch der Umzug in das neue Haus, in dem sich Sarah gefahrlos bewegen kann, und Amy, der Begleithund, den alle lieben.

 Vorsichtig betritt Sarah mit ihrer Großmutter den Kirchraum, orientiert sich mit Hilfe des Blindenstocks.©T.Pfundtner

 

 

Hamburg – Gehalten von ihrer Oma, den Blindenstock in der rechten und in einem weißen Umhang unter dem roten Mantel geht Sarah vorsichtig vom Familienauto in die Matthias-Claudius-Kirche in Hamburg. Für den 16-jährigen NCL-Teenager ist es ein ganz besonderer Tag: Heute wird sie gemeinsam mit ihren Brüdern Fynn (18), Mikka (13) und Nick (7) getauft und damit „verbunden mit Gott“, wie Pastorin Marlies Höhne später sagen wird.

 Sarah im Gespräch mit einer Taufpatin.©T.Pfundtner

 

Alles begann kurz vor Schulbeginn, die Fünfjährige hatte Probleme mit den Augen, konnte keine Farben erkennen und musste Bücher ganz nah vor die Augen halten, um überhaupt etwas zu erkennen …

Dann, nach einem Untersuchungsmarathon, der sich über mehrere Jahre hinzog, und währenddessen unzählige Neurologen, Kinderärzte, Augenärzte und Psychologen das kleine Mädchen förmlich auf den Kopf stellten, wurde am 16. Juli 2016 bei Sarah – nach unzähligen Fehldiagnosen – „Neuronale Ceroid Lipofuszinose“ diagnostiziert. Kurz NCL. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Krankheiten, die auf verschiedenen Gendefekten beruhen, wodurch den Kindern bestimmte Eiweißstoffe, die für das Funktionieren der Nervenzellen mitentscheidend sind, fehlen. Bisher sind 13 NCL-Varianten bekannt, von denen weltweit etwa 70.000 Mädchen und Jungen betroffen sind. Dabei sind die häufigsten Varianten die spätinfantile NCL2, die zwischen zwei und vier Jahren ausbricht, und die juvenile NCL, die mit vier bis sieben Jahren anfängt. In Deutschland gibt es rund 700 Kinder, die an NCL erkrankt sind. Und nach Schätzungen der Experten kommen bei uns jedes Jahr etwa 20 Fälle hinzu.  Sarah leidet unter dem Typ 3, der bisher unheilbar ist.

Auf dieser Internetseite haben wir des Öfteren (hier die Links) über das Schicksal von Sarah berichtet, sodass wir hier nicht mehr weit in die Vergangenheit zurückgehen möchten.

Das Leben für Sarah wird immer eingeschränkter – der tägliche Kampf gegen die NCL wird härter.

 Nick, Fynn und Yvonne freuen sich auf das Tauffest.©T.Pfundtner

 

Mutter, Oma und Freunde versuchen, Sarah die Angst vor der bevorstehenden Taufe zu nehmen.©T.Pfundtner 

Aber seit unserem letzten Bericht hat sich doch einiges verändert:

 Eine wichtige Stütze in Sarahs Leben ist – unabhängig von ihren Eltern Yvonne und Mika und ihren Geschwistern – nach wie vor Mischlingshund Amy. Der Hund „sorgt dafür, dass Sarah kontinuierlich bei den Gassi-Runden dabei ist. Dadurch wird der Prozess des fortschreitenden Bewegungsverlustes – für Sarah wird das Laufen immer schwieriger – verzögert. Derzeit bereitet ihr das Laufen große Schwierigkeiten: Zum einen, da sich ihre X-Beine verschlimmern. Zum anderen beginnt bei ihr eine Skoliose – eine Verformung der Wirbelsäule. Wie ihre Mutter Yvonne erzählt, haben Ärzte und Pfleger gesagt, dass andere NCL-Kinder schon längst im Rollstuhl sitzen würden. Den benötigt Sarah mittlerweile zwar auch immer mehr, aber sie ist dennoch sehr aktiv. So geht Sarah einmal in der Woche mit der Familie ins Schwimmbad. Mutter Yvonne und Vater Mika sind davon überzeugt, dass die viele Bewegung, die Rückentwicklung des Körpers verlangsamt hat.

Nicht verlangsamt hat sich Sarahs Erblindung. „Vor einigen Wochen ist die Klappe gefallen“, erzählt ihre Großmutter am Rande der Tauffeier.

Trotz alledem versucht Sarah ihren Alltag so gut wie möglich zu meistern, auch wenn es immer schwieriger wird. Mittlerweile funktioniert ihr Kurzzeitgedächtnis immer schlechter. Nicht zu vergessen, die heftigen Epilepsieanfälle und Halluzinationen, die Sarah in unregelmäßigen Abständen erleiden muss.

Es ist kein leichtes Leben, das die Familie führt und die Eltern wissen, dass ihre drei Söhne durch Sarahs Krankheit auf vieles verzichten müssen. Aber all das wird kompensiert durch die unheimliche Liebe und der rücksichtsvolle Umgang, den alle sechs und das Umfeld miteinander pflegen.

 Der feierliche Moment: Sarah wird getauft.©T.Pfundtner

So ist es auch kein Wunder, dass über 50 Verwandte, Freunde und Bekannte zur „Kleeblatt-Taufe“ in den Gottesdienst kamen.

Wie die Idee entstanden ist, dass alle vier Kinder am gleichen Tag getauft wurden – darüber gibt es verschiedene Meinungen. Einmal heißt es, dass der älteste Sohn, Fynn, beschloss, sich vor seinen Abiturprüfungen taufen zu lassen. Dann wieder wird erzählt, es war Sarah, die unbedingt getauft werden wollte …

Bevor es so weit war, besuchte Sarah mit ihrer Mutter mehrere Male die Kirche; und Pastorin Höhne wurde über das bevorstehende Ereignis immer wieder informiert und stellte Fragen über Fragen.

Und dann war der große Tag da: Eine Freundin von Sarahs Familie hatte für dieses Ereignis extra einen Umhang für Sarah genäht, der noch am Abend zuvor geglättet und ausgehängt wurde. Im Familienbus (der jetzt für gut 14.000 Euro behindertengerecht umgebaut werden muss) ging es zum Gotteshaus. Wie eine

Prinzessin schritt Sarah in die Kirche, gefolgt von ihren Brüdern.

Auf den Bänken hatten die Taufgäste bereits Platz genommen und verfolgten mit Wohlwollen und glücklichem Lächeln den Einzug des Tauf-Quartetts. Doch es konnte noch nicht losgehen, da Sarah – trotz aller vorherigen Besuche – die Situation emotional überforderte und sie wieder nach Hause gebracht werden wollte. Dank der beruhigenden Worte ihrer Mutter, ihres Vaters und des großen Bruders Fynn kam Sarah nach kurzer Zeit zur Ruhe und verfolgte in den Armen der Familie die Zeremonie.

Eine besondere Tauffeier für besonders liebenswerte Täuflinge.

DieTaufkerzen des Kinder-Quartetts©T.Pfundtner

 

 Auszug von Pastorin Marlies Höhne, Fynn, Mikko und Nick.©T.Pfundtner

 

Glückwünsche nach der Taufe.©T.Pfundtner

Nach der Orgelmusik begrüßte die Vertreterin Gottes auf Erden alle Gäste und die Täuflinge. Sie führte noch einmal ausführlich vor Augen, was die Taufe für den Mensch und Gott bedeutet – Geborgenheit, Schutzfunktion, Begleitung durch das eigene Leben. Anschließend forderte sie zum gemeinsamen Gebet. Anschließend wurden Fynn, Mikko und Nick und ihre Taufpaten nacheinander zum Altar gerufen und mit heiligem Wasser getauft. Für jedes Kind stand eine riesige Taufkerze mit Datum und dem Taufspruch bereit, die feierlich überreicht und entzündet wurden. So strahlte das Licht des Lebens in der Kirche, als die Pastorin sich an Sarah wandte: „Wenn Du nicht zum Taufbecken kommen kannst, kommt das Becken mit dem Wasser zu Dir“, sagte sie und näherte sich Sarah. Man mag es glauben oder nicht, aber als Marlies Höhne vorsichtig Sarahs Haar mit dem heiligen Wasser befeuchtete, huschte ein glückliches, friedliches Lächeln über das Gesicht des NCL-Mädchens. Es schien, als ob die junge Frau die Kraft Gottes spürte und in sich aufsog. Ein wahrlich bewegender Moment…

„Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie Dich behüten auf allen Deinen Wegen, dass sie Dich auf Händen tragen“, heißt es im Psalm 91. Und dieser anrührende Satz ist von nun an Sarahs Taufspruch, der ihr symbolischen göttlichen Beistand und kirchliche Unterstützung zusichert.

Es war, als ob allen Beteiligten nun erst klar wurde, dass dieser Vormittag wirklich etwas Besonderes war: Vier Täuflinge, die sich eigenständig als junge Menschen entschieden, den Bund mit Gott einzugehen – das dürfte mehr als selten sein. Tatsächlich verdrückten nicht nur die jungen Leute, Eltern und Verwandte so manche Träne – nein, auch einige Gäste ließen ihren Emotionen freien Lauf und weinten vor Glück. Kurz vor dem Gottesdienstende schenkte Marlies Höhne allen Täuflingen, Taufpaten und den Eltern – jedem Einzelnen – einen goldenen Schutzengel, der sie von nun an begleiten soll. Für Sarah ist das nichts Neues, seit vielen Jahren begleitet sie ein anderer Engel, der ihr anlässlich eines Interviews geschenkt wurde. Diesen hat sie – trotz NCL – bis heute nicht verloren, geschweige denn vergessen…

Mit dem Vaterunser, dem kirchlichen Segen und einem bewegenden „Hallelujah“ in der Version von Leonard Cohen, gesungen und gespielt von Andreas, dem Onkel von Sarahs Mutter, endete eine bewegende Zeremonie, die bei allen Anwesenden noch lange in den Herzen verankert sein wird.

Von ihrer Oma wird Sarah nach dem Gottesdienst zurück zum Familienauto gebracht.©T.Pfundtner

Da zu einer Taufe – in diesem Fall einer vierfachen – aber auch eine zünftige Feier gehört, zog – nach entspannten Minuten mit Glückwünschen, Umarmungen und Lachen vor dem Gotteshaus – eine kleine Armada zum unbeschwerten Zusammensein in ein nahe gelegenes Vereinsheim. Hier erwartete die Gäste ein leckeres Buffet mit unendlich vielen Spezialitäten – von italienischer „Pomodoro-Suppe“ über deutschen Kartoffelsalat oder türkischen Teigtaschen bis hin zu selbstgebackenem Kuchen. Mit einem kräftigen „Das Buffet ist eröffnet“ hielt Abiturient Fynn wohl die kürzeste Taufrede aller Zeiten, was aber mit herzlichem Applaus quittiert wurde.

Selbstverständlich war auch ein Geschenketisch für die Täuflinge aufgebaut worden. Und sehr zur Freude der jungen Menschen bog sich dieser unter Blumen, Präsenten und Geldgeschenken.

Es war wahrlich ein wunderbarer Nachmittag, der bewiesen hat, dass neben jedem Leid, jedem Kummer und allen Sorgen auch Glück und Freude einen festen Platz im Leben haben. Genauso wichtig aber ist auch: Sarah, ihre Eltern, ihre Geschwister, alle Verwandte, Freunde und Bekannte beweisen Tag für Tag, dass Familie und Zusammenhalt wohl wirklich das Wichtigste im Leben aller Menschen sind. Und, dass wir ohne Hoffnung verloren sind.

Eindrücke einer Tauffeier, die den Beteiligten noch lange in Erinnerung bleiben und in den Herzen bewahrt werden wird. © Fotos: T.Pfundtner